Trinidad bis Isla de Margarita

Nachdem wir uns von unseren lieb gewonnenen irischen Freunden verabschiedet haben – bei den Bordfrauen wird doch die eine oder andere Träne vergossen – nimmt „Sleipnir2“ Kurs auf die Inselgruppe Los Testigos („Die Zeugen“). Wir umsegeln die als gefährdet bezeichnete Halbinsel von Paria, fahren nachts ohne Positionslichter und weichen jedem Fischerboot – etwas paranoid – großräumig aus.

Westsetzender Strom schiebt uns mit 8 bis 9 Knoten Fahrt über Grund unserem Ziel viel zu schnell entgegen, um – wie geplant – bei Tagesanbruch anzukommen. Um Geschwindigkeit aus dem Boot zu nehmen, bergen wir um 4 Uhr früh die Segel, machen aber noch immer mehr als 4 Knoten auf dem GPS, wobei die Windfahne problemlos den Kurs hält (!).

Noch vor Sonnenaufgang fällt der Anker in der Balandra Bay. Zum Einklarieren fahren wir – obwohl mit neuem Beibootmotor ausgerüstet – eine Viertelstunde (!) in jene Ansammlung von Fischerhütten, die als Hauptort bezeichnet werden. 160 Leute wohnen in den Los Testigos – von genetischer Vielfalt kann man hier nur träumen. Es gibt keine Kneipe, kein Geschäft, keine Hotels oder Pensionen, nicht einmal eine Fährverbindung, allerdings eine Kapelle und – eine Schule. Abgesehen von ein paar Yachten, die auf ihrem Weg zur Isla de Margarita hier kurz Halt machen, gibt es keinen Tourismus.
Von einer Behörde kann man bei der Baracke, die mit der Nationalflagge „geschmückt“ ist, kaum sprechen, dennoch setzen wir an diesem – vermutlich strafversetzten – Außenposten des Landes unser freundlichstes Gesicht auf.
Wolfgang hat sich bei der Kleiderwahl für diesen Ausflug etwas vergriffen und kann schlichtweg als bunt beschrieben werden. Prompt wird er beim Landgang von einem Papagei „adoptiert“…

Am Nachmittag steigen wir auf die Dünen der Playa Gozman, begeistern uns an der Flugakrobatik der Fregattvögel und besuchen die Playa Tamarindo. Dieser Strand lässt sich mit jenen von Mauritius oder der Malediven vergleichen. Hinter den Palmen leben ein paar Fischer nach Maßstab unserer westlichen, „zivilisierten“ Vorstellung unter einfachen und armseligen Verhältnissen. Ohne Fließwasser, Toiletten und Müllentsorgung in Häusern ohne Fenstern sieht man hier ungeschminkt den Tribut, den die Einsamkeit eines Paradieses fordern kann und der vor uns so oft in diversen Ferienanlagen verschleiert wird. Die Leute sind sehr freundlich und posieren gerne vor Evis Kamera.

Ein angenehmer Tagesschlag bringt uns zwei Tage später ins Einkaufsmekka Porlamar auf der Isla de Margarita. Philip und Nila von der Blue Bie wissen von unserer Ankunft und haben schon ein Abendessen vorbereitet. Bei dieser Gelegenheit werden wir über die lokalen Gegebenheiten und die aktuellen Raten des Dollarkurses auf dem Schwarzmarkt informiert.

Wie geplant verproviantieren wir uns hier für die nächsten Monate, was innerhalb der „Sleipnir2“- Crew unweigerlich zu einer Diskussion über das Fassungsvermögen des Kats führt.
Der Preis einer Dose Bier im Supermarkt beläuft sich auf 11 Cents, in der Bar zahlt man für das beste Bier 40 Cents, für einen Caipirinha immerhin 90 Cents. Eine Stunde Internetzugang kostet 26 Cents (auf Menorca wollte man für die gleiche Zeitspanne € 20) und im Sunset Café gibt es ein saftiges Steak um € 4. Eine Stange Marlboro – Zigaretten, die wir als vielseitig einsetzbare Tauschware erstehen, bekommen wir für € 5,40. Die Maßnahme von Präsident Chavez, dass Grundnahrungsmittel zu Billigpreisen und ohne Gewinn angeboten werden müssen, führt dazu, dass diese Produkte über längere Zeit gar nicht oder nur am Schwarzmarkt verkauft werden. So sucht man Mehl, Milch, teilweise Eier, Zucker und Schlagobers vergeblich in den Regalen. Evi hat aber diesbezüglich bereits in Chaguaramas vorgesorgt, nachdem wir über die Engpässe von anderen Seglern informiert worden sind.

Das Tanken am Dock, welches eigentlich lokalen Fischerbooten vorbehalten ist, erfordert unsererseits ein wenig Akrobatik im Umgang mit dem Beiboot und wäre schon für sich einen Artikel wert. 95 Oktan Super kostet 1,4 Cents pro Liter, leider können wir nur mehr gut 100 Liter aufnehmen. Der Zapfhahn wird beim Einholen des Schlauches einfach durchs Wasser gezogen…

Leider oder Gott sei Dank laden die äußeren Umstände am Ankerplatz nicht zu einem längeren Aufenthalt ein und begrenzen so den Shoppingwahnsinn auf der zollfreien Insel. Zwei Tage vor unserer Ankunft wird ein Schiff überfallen. Der Skipper wacht auf, weil ihm einen Pistole an den Kopf gehalten wird. Das Polizeiboot kann nicht ausfahren, da angeblich das Geld für eine neue Starterbatterie fehlt, außerdem mangelt es an Personal für die eigentlich notwendigen Patrouillefahrten.
Österreicher Rudi, der mit seiner Stahlyacht schon länger vor Anker liegt, klärt uns auf, dass es hier hin und wieder zu Raubüberfällen kommen kann. Er selbst hatte bei solchen „Gelegenheiten“ seine Waffen schon in Verwendung.
Wir greifen in die Trickkiste um uns vor Übergriffen zu schützen. Wolfgang schläft diese Nächte trotzdem unruhig. Evi lässt sich ihren geheiligten Schlaf nicht nehmen – sie liegt in der Kabine aber auch auf der Innenseite…

In gewisser Weise als Ausgleich zu diesen unangenehmen Gegebenheiten ist Venezuela das Land der schönen Frauen. Darüber hinaus ist hier eine Brustvergrößerung offensichtlich so üblich wie in unseren Breiten das Tragen einer Zahnspange. Wer keinen Eingriff vornehmen lässt, trägt zumindest einen Push-up. Nachdem Wolfgang nur Augen für seine Bordfrau hat, wären ihm diese Tatsachen entgangen, hätte ihn nicht ein anderer Segler darauf aufmerksam gemacht…(erklärt das Fehlen jedweder Fotos)

Nach 4 Tagen in Porlamar nehmen wir vermutlich endgültig Abschied von Philip und seiner neuen Bordfrau Nila. Während sie sich zum Kitesurfen nach El Yaque verlegen, bereiten wir uns für die Weiterfahrt auf die Insel La Tortuga vor.