Warten am Panamakanal

Leider müssen wir ablehnen, weil das Prozedere der Behördengänge für die Kanaldurchfahrt – inklusive der Vermessung des Schiffs – nur in der Nähe des Panamakanal Yacht Clubs bzw. der Stadt Colón schnell abgewickelt werden kann und für uns absolute Priorität hat. Die Verantwortung, dass der Film letztendlich dadurch weniger sehenswert sein wird, müssen wir auf uns nehmen.

Unweit unseres Ankerplatzes fahren die Containerschiffe in Schleichfahrt von und zu den ca. 4 sm entfernten Gatun Schleusen; auch ein Atom U-Boot wird geschleust – wir sind beeindruckt.

Wie nahezu alle Yachties nehmen wir uns einen Agenten, der mit uns die einzelnen Ämter abfährt und beim Anstellen an den jeweiligen Schaltern bzw. beim Ausfüllen zahlreicher Formulare den Ablauf wesentlich beschleunigt. Dies ist umso wichtiger, als sich Colón als ein einziger großer Misthaufen herausstellt. Die koloniale Vergangenheit lässt sich nur mehr erahnen, und weder Evi noch Wolfgang können sich erinnern, jemals eine derart elende, heruntergekommene Stadt bereist zu haben. Niemand geht auch nur hundert Meter zu Fuß – bei 1 US Dollar pro Taxifahrt ist dieser Sicherheitsaspekt aber durchaus leistbar. Nachträglich müssen wir vor den kolumbianischen Busfahrern hinsichtlich unserer Kritik an ihrer Fahrweise Abbitte leisten…

Montagmittags haben wir den Papierkrieg hinter uns, und am Mittwochvormittag kommt der Vermesser an Bord. Auch mit ihm arbeiten wir uns durch Formulare aller Größen und Farben, aber noch am gleichen Tag hinterlegen wir die notwendigen 1500 US Dollar bei der Bank (891 Dollar davon als Deposit) und bekommen am Donnerstagvormittag unseren Kanaltransit – Termin: den 20. April!! Ein Monat Wartezeit am Kanal beeinträchtigt unseren Zeitplan für die weitere Reise und verkürzt die zur Verfügung stehende Zeit im Pazifik gravierend – Rotwein erweist sich als wirksame Medizin, um sich mit den Gegebenheiten rascher abzufinden.
So sehr die Seglergemeinschaft in dieser Zeit des Wartens auch zusammenrückt, betrachtet man sich gegenseitig doch ein wenig misstrauisch mit Argusaugen, ob das ein oder andere Boot nicht doch trickreich einen Weg findet, den Zeitpunkt der Kanaldurchfahrt vorzurücken. Natürlich lassen auch wir nichts unversucht, um den Ablauf zu beschleunigen und leben teilweise im Zwiespalt, ob wir unsere kleinen Geheimnisse mit Freunden teilen sollen…

Ob es sich um einen sanften Streik der Kanallotsen oder um die Dreharbeiten zum James Bond Film handelt, hinsichtlich der Verzögerungen kursieren eine Vielzahl an Gerüchten, die nur eines gemeinsam haben: Niemand – weder die französische 112 Fuß Superyacht Obsession II, noch die Erfahrung mancher Segler aus mehreren Weltumsegelungen – kann den Transittermin wesentlich beschleunigen. Auch ein Nachbau der Karavell Nina, mit der Christoph Kolumbus während seiner ersten Reise über die Azoren nach Europa zurückgesegelt ist, wartet auf ihren Transit.
Wir kaufen uns ein Mobiltelefon, rufen jeden zweiten Tag bei der Kanalbehörde an und fragen höflich – aber bestimmt – nach der Vorverlegung unseres Termins. Auch wenn der Name „Sleipnir2“ – insbesondere in spanischer oder englischer Sprache – schwer auszusprechen ist, wird ihn wohl der eine oder andere Beamte des Transitbüros längere Zeit im Gedächtnis behalten…

Einige Tage in der Kanalregion zeigen dann immer klarer, dass schlichtweg zu viele Containerschiffe – vom kleinen Frachter bis zur Panamax-Kategorie (294m Länge) – auf ihre Schleusung warten, und die Zahl jener Fahrtenyachten, die den Pazifik befahren wollen, von Jahr zu Jahr größer wird. Jeden zweiten Tag werden drei Yachten geschleust, „verbrauchen“ dabei sechs Advisors und zahlen knapp 3000 US Dollar – ein Schiff der Panamax-Klasse wird von einem Advisor geleitet und zahlt für seinen Weg vom einen zum anderen Ozean ungefähr 150 000 US Dollar…

Nach 6 Tagen am Ankerplatz verlegen wir uns in die neue Marina Shelter Bay. Unser Einlaufen fällt mit dem Drehschluss der letzten Bondszene zusammen, und wir werden von der Marinaleitung und von Freunden über Funk vor den chaotischen Zuständen innerhalb des Yachthafens gewarnt. Tatsächlich ist die Shelter Bay von einer elektrisierenden „Dynamik“ erfüllt – alle Arten von Wassersportrequisiten werden abtransportiert, und vom Stuntman für Daniel Craig abwärts bis zum Kabelträger ist man in hektischer Aufbruchstimmung. „Sleipnir2“ wird vorübergehend ein Platz am Pier für Megayachten zugewiesen, und wir liegen eine Nacht hinter einer mondänen Motoryacht mit dem passenden Namen Sensation – Heimathafen: Bimini – wo immer das sein mag (Nachtrag: Marshall Islands – man spricht mit uns!).

Wir genießen das bequeme Marinaleben an Fingerpantoons mit Wasser und Strom im Überfluss. Am Vormittag arbeiten wir am Schiff und bereiten uns auf den Pazifik vor, der Nachmittag gehört uns und ist „zur freien Verfügung“. Evi vertieft sich immer mehr in ihre Arbeit am Computer und installiert die verschiedensten Programme auf unserem neuen Laptop, den wir in der Free Zone in Colón erstanden haben.
Durch die intensive Auseinandersetzung wird sie mit dem Medium immer vertrauter, und Wolfgang ist tief beeindruckt von ihren autodidaktischen Fortschritten am Laptop, dem sie immer mehr Geheimnisse entlockt. Es scheint eine unumstößliche Tatsache zu sein, dass Wolfgang von Computern abgelehnt wird, umso mehr Verantwortung lastet daher diesbezüglich auf Evis Schultern.

Die Marina liegt in einem Naturschutzgebiet und ist landseitig vollständig von Regenwald umschlossen. Wolfgang nützt die Gelegenheit zum ausgedehnten Ausdauertraining. Diese Läufe werden zum einzigartigen Naturschauspiel. Kapuziner- und Brüllaffen leben in den Bäumen, Papageien und Tukane machen lautstark auf sich aufmerksam, und ein Nasenbär beobachtet am Waldrand den sich sonderbar bewegenden „weißen Affen“. Zweimal läuft Wolfgang kurz „in Begleitung“ eines Wasserschweins. Mit diesem größten Nagetier könnte er nicht Schritt halten. Die Tiere verzichten aber auf einen Wettlauf und verschwinden jeweils in diversen Wasserlöchern. Die unheimlichen Geräusche des Regenwaldes sollten eigentlich das Lauftempo beschleunigen, das tropische Klima lässt aber keine sportlichen Höchstleistungen zu. Dafür leistet Wolfgang seinen Beitrag zur Völkerverbindung beim abendlichen Volleyballspiel.

Das gemeinsame Warten bedingt ein enges „Miteinander“, und wir genießen dieses intensive soziale Leben mit so vielen unterschiedlichen Menschen. Wir wollen aber nicht verhehlen, dass wir auch auf Segler mit, aus unserer Sicht, sonderbarem und befremdendem Auftreten treffen. Der Prozentsatz an Sonderlingen ist vermutlich unter den Langstreckenseglern naturgemäß größer als im „normalen“ Alltagsleben. Die meisten sind allerdings interessante und sympathische Charaktere: Amelia und James von der Rahula sind natürlich auch vor Ort. Noch britischer erscheinen uns allerdings Claire und Peter von der Lady Sara.
Beeindruckt sind wir von der kultivierten und gebildeten Crew des deutschen Shuttleworth – Katamarans Cosi fan due rund um Skipper Andreas – sein 65.Geburtstag wird mit Batman – Torte feuchtfröhlich gefeiert. Weltumsegler Wolfgang Weber übt sich trotz schier unerschöpflicher Kenntnis der Seemannschaft in Bescheidenheit. In einer Diskussion über Astronavigation merkt Wolfgang (Wirtl) schnell, dass er an diesem Tag besser in die Zuhörerrolle schlüpfen sollte. Eva und Horst, die seit fünf Monaten in Panama an ihrer Hallberg Rassy arbeiten, kennen das umliegende Gebiet wie ihre Westentasche, und mit Chris von der Nomotos (No more tomorrows) haben wir einen kongenialen Partner zum kanadisch – österreichischen Schmähführen: Chris, “You remind me of Arnold Schwarzenegger because of your English.” – Wolfi, “Oh, I thought because of my body.” / Evi, “I painted the cockpit the whole day.”– Chris, “Oh, fun time!”
Wolfgang, Ruderbauer aus Deutschland, fährt seine 46 Fuß Najad einhand in zehn Tagen von den Kap Verden in die Antillen und dürfte somit auch das Anfängerstadium des Segelns weit hinter sich gelassen haben.
Nach und nach treffen auch unsere Freunde aus den ABC – Inseln ein: Sue und Rick von der Panacea, Fiona und Allan von der Sea Biscuit und Ute und Günther von der Y Not gehen in den Flats vor Anker.
Diese Liste ließe sich lange fortsetzen, aber noch kurz zu unseren Landsleuten, auf die wir hier erstmals stoßen: „Fritz the Cat“ segelt seit mehr als einem Jahrzehnt in der Karibik, und man muss ihn nicht gesondert vorstellen. Tatsächlich haben wir in der gesamten Kanalregion niemanden getroffen, der ihn nicht gekannt hätte. Unsere Schilderung vom Alphornständchen unseres schweizer Freundes Philip kommentierte er trocken mit einem: „Des kann i a.“ – kurze Zeit später bekommen wir ein Abendkonzert auf dem bootseigenen Horn.
Ulli und Wolfgang von der Golden Tilla treffen wir leider nur kurz, sie haben einen frühen Transit – Termin, und ein Abend mit Cuba Libre und Caipirinhas auf der Karma von Ex – AUA Pilot Karl und seiner Rosa führt dazu, dass am nächsten Tag die Logbucheintragung auf „Sleipnir2“ entfällt…

Leider werden in den als sicher geltenden „Flats“ immer wieder Dingis und Außenbordmotoren gestohlen. Die Australier Jason und Joe (gehen bereits das vierte Mal durch den Kanal) sind ebenso betroffen wie auch unsere Freunde Ute und Günther von der Y Not. Es gibt wohl wenige Orte, wo gebrauchte Autoreifen so hoch im Kurs stehen wie hier vor den Kanaltransits. In Plastiksäcke gepackt und mit Tapes umwickelt, braucht man sie für das Abfendern in den Schleusen und zahlt dafür im Regelfall 3 US Dollar pro Reifen – gestohlen werden sie sonderbarerweise kaum…

Am 31. März gehen wir erstmals als ‚Linehandler’ durch den Kanal. Wir helfen Claire und Peter auf der über 15m langen Najad Lady Sara (Schätzpreis??!), die uns anbieten, einige Tage mit ihnen am Schiff auf der Pazifikseite zu verbringen. Die Kanalpassage wird für uns eine äußerst wichtige Erfahrung, um uns auf den eigenen Transit besser einstellen und vorbereiten zu können. Britischer als Claire und Peter kann man nicht sein: Evi geht angesichts dieser Sprachkultur das Herz auf, und auch Wolfgang fühlt sich mit den beiden sehr verbunden. Wir machen uns mit den Gegebenheiten auf der Pazifikseite vertraut und bedauern, wieder ins karibische Colón zurückkehren zu müssen.

Bezüglich unseres Transit –Termins rücken wir langsam vor, um schließlich Mittwoch, den 16. April als endgültiges Datum zugewiesen zu bekommen. Die organisatorischen Mängel rund um den Betrieb der Kanalschleusung und das lateinamerikanische laisser–faire lassen uns „vor Ort bleiben“. Hinsichtlich der Serviceleistungen der Marina kann nur erwähnt werden, dass sich der Manager ein Faultier hält…
Wir setzen unsere Erfahrungen aus dem Linehandling am eigenen Schiff um, kopieren Seekarten, checken das Rigg (fünfmal am Masttop) und machen Tagesausflüge:
Höhepunkt eines Ausflugs zum Fort San Lorenzo am Delta des Rio Chagres ist die Begegnung mit einem wenig scheuen Ameisenbären. Ein paar Tage später fahren wir mit öffentlichen Bussen ins historisch interessante Portobello. Kolumbus hat die geschützte Ankerbucht während seiner vierten Reise entdeckt, und im 16. und 17. Jahrhundert sind von hier Tonnen von Gold und Silber aus Mittel- und Südamerika in das spanische Imperium verschifft worden. Im 21. Jahrhundert ist der Busbahnhof von Colón für Abenteurer und Lebensmüde ein Ort vom Feinsten – in Portobello wirft ein „unausgeglichener“ Panamaer drei Sitzreihen vor uns die Scheiben des Busses ein, und wir sind – mit der Hand am Pfefferspray – um eine Erfahrung reicher…

Die seemännische Leistung dieses Artikels beschränkt sich auf die 2,5 sm, die wir in die Shelter Bay Marina motort sind, trotzdem wollen wir diese abwechslungsreiche Zeit des Wartens mit angenehmem Marinaleben und so vielen interessanten Menschen nicht missen.