In den Tuamotus

Für den Tairapa – Pass in die Lagune von Manihi errechnen wir eine Durchfahrtszeit von 10.20 a.m. local time. Irgendwo muss sich allerdings ein kleiner Rechenfehler eingeschlichen haben, jedenfalls müht die Steuerfrau ihr Schiff bei ca. 4 bis 5 Knoten Gegenstrom nur langsam durch die Engstelle. Einmal in der Lagune steht Wolfgang auf halber Masthöhe und dirigiert Evi durch die Riffe zum Ankerplatz. Die Stelle als Ankergrund auszuweisen ist fahrlässig irreführend: zwischen dem Sandgrund in 14 bis 20 Meter Tiefe ragen dicht gedrängt hohe Korallenblöcke auf, die zwingend an die griechische Felsenlandschaft der Meteora Klöster erinnern.

Nach 5 Ankermanövern und ca. 60 Bar Luftverbrauch aus unserer Tauchflasche sind wir der Ansicht, das Bestmögliche aus der Situation gemacht zu haben.

In den folgenden Tagen wird Wolfgang zwei Schiffen beim Anker aufgehen behilflich sein, deren Ankerketten ohne Taucheinsätze kaum von den Korallenblöcken freigelegt werden hätten können. Der Anker von Wendys und Giorgios „Argonauta“ hängt sogar über einem Korallenblock frei im Wasser – Wolfgangs Schilderung der Lage kommentiert Italiener Giorgio folgerichtig mit “no gud“, nimmt aber von einem weitern Manöver Abstand. Sein gesamter Besitz hängt an 8mm verzinktem Stahl und einem Anker, der nicht einmal den Grund berührt – Mut kann man eben nicht kaufen…

Acht Tage verbringen wir in Manihi, und Fernando, der sich hier um die Bedürfnisse der Segler annimmt, bringt uns täglich frisches Baguette, lädt uns zum Essen ein und versorgt uns mit allerlei wichtiger und weniger wichtiger Information. Schließlich besuchen wir seine Austernfarm, und Evi strahlt tagelang mit den von ihr erstandenen Perlen um die Wette.

Das Riff ist größtenteils abgestorben, aber ein Tauchgang mit Mantas entschädigt uns für mittelmäßige Schnorchelausflüge. Die Befürchtung einiger Segler, Manihi wäre zu „touristisch“ und überlaufen, können wir nicht teilen – zwei Tage lang sind wir das einzige Boot in der Lagune.

Einen Tagesschlag weiter im Westen liegt das Atoll Ahe. Der Reianui Pass erscheint uns einfach zu befahren, und der Ankerplatz vor dem Dorf Tenukupara ist wesentlich angenehmer als im Revierführer beschrieben. Die geschützte Lage zeigt sich gleich am nächsten Tag, als wir Windböen bis 40 Knoten und heftige Regenschauer abwettern müssen.
Der Segelphilosoph Bernard Moitessier hat hier längere Zeit auf einem Motu gelebt. Einige wollen ihn persönlich gekannt haben, auf jeden Fall wird er übereinstimmend als außerordentliche Persönlichkeit beschrieben.
Evi kommt mit der unbekümmerten 13-jährigen Florine ins Gespräch – den Namen hat sie sich für die weißen Touristen zugelegt, die ihren eigentlichen Namen meist nicht aussprechen können. Ob es Internetzugang im Ort gibt, weiß sie nicht, genauso wenig wie viele Einwohner hier leben – sie hat sie nicht gezählt…
Sie hat 16 Geschwister und mit einem mitleidigen Blick nimmt sie zur Kenntnis, dass auf unserem Schiff keine Kinder leben.

Nach zwei Tagen brechen wir am Nachmittag Kurs Rangiroa auf. Kurz nach der Passausfahrt fangen wir einen Thunfisch – bezüglich Abendessen wird umdisponiert: wir sparen Gas, und es gibt Sashimi. Am nächsten Vormittag kommt der Palmensaum von Rangiroa, dem Verwaltungszentrum der Tuamotus und dem weltweit zweitgrößten Atoll (das größte Atoll liegt in den Marschall Inseln), in Sicht. Die Passdurchfahrt stimmen wir zeitlich – vermutlich weil nicht berechnet – ideal ab und wenig später ankern wir vor den mondänen Wasserbungalows des Kia Ora Hotels. Die exklusiven Bungalows sind allerdings nicht die Entscheidungsgrundlage für den Ankerplatz, sondern die Ausrichtung der hiesigen Wifi –Antenne für eine brauchbare Internetverbindung.

Der Aufenthalt in Rangiroa steht im Zeichen ausgiebiger Unterwasseraktivitäten. Nie zuvor haben wir so viele Großfische bei so außergewöhnlicher Sicht beobachten können. So werden zum Beispiel die offensichtlich in größeren Tiefen beheimateten Silberspitzenhaie von den Tauchlehrern angefüttert und zum Riff gelockt, wodurch sie eindrucksvoll ihre Kreise um die Taucher ziehen. Bei einem dieser Ausflüge werden diese Kreise bemerkenswert eng, und die Rollenverteilung Beobachter – Futter ist nicht mehr ganz klar. Aus gegebenem Anlass verwackelt Wolfgang einige Großaufnahmen, und ein paar unscharfe Fotos finden keine Gnade vor Evis gestrengen Augen.
Ein Strömungstauchgang misslingt allerdings vollkommen: Tauch – Guide Serge setzt seinen Tauchgang vollkommen „in den Sand“, vom Briefing bis zum Austauchen passt nichts zusammen, und so wird ein an sich großartiges Taucherlebnis zu einem risikoreichen Ausflug.
Nichtsdestotrotz sehen wir bereits beim Abtauchen eine Gruppe von zumindest zwanzig Schwarzspitzenhaien, später – während eines Drifts durch einen Canyon – eine große Zahl Grauriffhaie und zwischendurch riesige Adlerrochen, sowie allzu aufdringliche Barrakudas.
Im Zuge unseres Aufenthaltes absolviert Wolfgang einen Nitrox – Tauchkurs, trotzdem nehmen wir bald Abstand von Serge und damit von der Tauchbasis.

Während der diversen Schnorchelausflüge im Pass, bei denen wir Mantas, Napoleonfische, Delphine, Haie, Muränen und Schwärme von Stachelmakrelen sichten, müssen die Strömungsverhältnisse allerdings sehr genau beachtet werden, um unnötige Risken zu vermeiden.
Wir fragen den hier seit sieben Jahren ansässigen deutschen Profiunterwasserfilmer Peter Schneider nach dem Auftreten von Ciguatera (Fischvergiftung) im Rangiroa Atoll und hören, dass kleine Barsche und Stachelmakrelen unbedenklich wären. Obwohl Wolfgang ohne weiteres drei Minuten unter Wasser bleiben kann, reicht das – mangels Taktik – für so manchen Barsch nicht aus, der sich seines kiemenbedingten Vorteils bewusst ist.
Also füttern wir Fische beim Kat an und schießen sie mit der Harpune von Deck aus. Bei dieser Methode muss der Brechungswinkel des Lichtstrahls an der Wasseroberfläche einberechnet werden, und es kann durchaus ratsam sein, das Dinghy auf die andere Schiffsseite zu verholen…
Erstmals beim Schnorcheln sehen wir einen Steinfisch. Einige von ihnen gehören zu den giftigsten Fischen überhaupt, wobei die Gefahr darin besteht, auf den gut getarnten Fisch im seichten Wasser zu treten. „Unser“ Steinfisch liegt in einer Riffhöhle auf Lauer, und nachdem – mangels Kindchenschemas – das Bedürfnis den Fisch zu streicheln eher gering ist, besteht hier keine Gefahr…

Die Tage in Rangiroa sind ausgefüllt: regelmäßig unternehmen wir ausgedehnte Strandspaziergänge und suchen am Außenriff nach Kaurischnecken. Wir kaufen lokales Kunsthandwerk, unternehmen Radausflüge, tüfteln an unserem Artikel für die Septemberausgabe von „Ocean7“ und pflegen unsere britischen Kontakte. Der Union Jack dominiert eindeutig den Ankerplatz und zumindest am Wasser ist Oxford-English die Umgangssprache – mit der Ausnahme eines Schwarzenegger-Akzents…

Das noble Kia Ora Hotel, dessen eitle Fassade leider öfter allzu schnell wie eine Seifenblase zerplatzt, bietet zweimal in der Woche polynesische Tanzvorführungen. Wolfgang stellt sich beim Anblick der außergewöhnlich anmutigen Tanzkünste die Frage, ob ihm beim Studium im Rahmen der Anatomie – Vorlesungen nicht das eine oder andere Hüftgelenk unterschlagen wurde…
Für die beste Kategorie der Bungalows verlangt man ca. € 630 pro Nacht (ohne Frühstück), und die Konstellation „älterer gepflegter Herr mit jüngerer – mindestens ebenso gepflegter – Dame“ dominiert das Bild der Gäste. Zumindest während der Dauer unseres Aufenthaltes landet kein Ambulanz-Jet…
Wolfgangs Outfit, insbesondere das Schuhwerk, wird vom Personal nur widerwillig gebilligt, obwohl Evi alle Register zieht, um hinsichtlich des Gesamteindrucks zu kompensieren.

Seit einiger Zeit halten wir konstanten Mailkontakt mit unserer Schiffsversicherung und der Technimarine – Werft in Papeete, für die wir bereits vorreserviert sind. Es besteht zwar die Möglichkeit, den Termin für die längst fälligen Reparaturarbeiten an „Sleipnir2“ vorzuverlegen, aber am Ende unseres Aufenthaltes bringen zwei Sturmtiefs, die von Neuseeland in nordöstliche Richtung über den Pazifik ziehen, südwestliche bis westliche Winde mit hohem Seegang und strömendem Regen, der die Grenzen unseres Sonnen/Regensegels allzu sehr aufzeigt und den Lebensraum auf unserem Kat weiter einschränkt.
Ab Dienstag (29. Juli) erkennen wir zwischen den beiden Tiefs ein 48 Stunden – Wetterfenster für eine Überfahrt nach Papeete, eine Prognose die von den anderen Yachten zunächst angezweifelt wird. Dienstagvormittag brechen allerdings alle acht vor Anker liegenden Boote auf…
Alle wissen, dass uns unangenehmes, hartes am Wind Segeln erwartet, aber nicht auszulaufen würde mindesten eine weitere Woche des Wartens in Rangiroa bedeuten.