In den Salomonen

Kurz vor Dämmerung des gleichen Tages zieht ein Tölpel immer engere Kreise um unser Boot, um schließlich vermehrt Landeversuche am Masttop anzustrengen. Wolfgang sieht die filigrane UKW-Antenne bzw. den Windanzeiger durch den offensichtlich übermüdeten, um günstige Mitfahrgelegenheit bemühten, Seevogel in Gefahr und aktiviert die Steinschleuder. Schließlich findet das wenig scheue Tier auf der Segeltasche des Großsegels, nahe der Baumnock (wir fahren unter Spinnaker), einen „passenden“ Platz, und auch wir sind mit dem schadensbegrenzenden Kompromiss zunächst zufrieden – weit gefehlt: unseren gefiederten Freund dürften schwere Verdauungsprobleme plagen, jedenfalls scheißt er während er Nacht mit einem anatomisch kaum nachzuvollziehenden Streueffekt den achterlichen Bereich des Kats flächendeckend zu. Evi hat während ihrer Nachtwachen größte Hemmungen, die Windfahne zu justieren, da sie zu diesem Zweck unmittelbar unter dem Anus unseres „Schwarzfahrers“ agieren muss, der folgende Morgen steht jedenfalls im Zeichen umfangreicher Reinigungsarbeiten…

Obwohl durch unsere Erfolge an der Schleppangel von Fischgerichten einigermaßen übersättigt, entschließen wir uns trotzdem wieder zum Angeln. Nach fünf Minuten beißt auf Backbord ein Thunfisch, und während Evi den Fang an Bord zieht, holt Wolfgang den Steuerbordköder ein – zu spät: auch die zweite Angel beschert uns bereits Erfolg, und wir beginnen, vom saftigen Steak nach dem Landfall zu träumen; bis dahin gibt es allerdings – mit Sashimi beginnend – die verschiedensten Tunagerichte.

Am fünften Tag erreichen wir bei nahezu windstillen Bedingungen Honiara, Hauptstadt der Salomonen, auf der Insel Guadalcanal. Das Revierhandbuch für die Salomonen beschreibt (leider völlig zu Recht), dass man von einem Hafen im eigentlichen Sinn nicht ausgehen kann, und Ankergründe von durchschnittlich 20 Metern Wassertiefe entsprechen nicht gerade unseren Vorstellungen – nenne man es verwöhnt oder nicht. Wir versuchen, trotz der unserem Schiff wenig entgegenkommenden Situation, mit Heckleine zum Wellenbrecher zu ankern, wobei uns das Ergebnis wenig befriedigt. Der mit seinem Schiff in unmittelbarer Nähe liegende Pierre bietet seine Hilfe an und schildert seinen Leidensweg von mindestens vier Ankermanövern, bis seine Yacht vertäut war. Wolfgang, der wenig Bereitschaft für Smalltalk zeigt, hat allerdings den Ehrgeiz, sich aus der Misere mit eigener Kraft (im wahrsten Sinne des Wortes) zu befreien, löst die Heckleinen, zieht den Anker im Schweiße seines Angesichts wieder hoch und veranlasst Evi, den Kat auf engstem Raum trickreich zu manövrieren – auf jeden Fall entwickelt sich in den nächsten Tagen zu Pierre keine intensivere Freundschaft.

Auch bei wohlwollender und objektiver Betrachtung muss man Honiara als ausgesprochen schmutziges, staubiges Dorf einschätzen, dessen Bewohner ein für uns seit vielen Monaten völlig ungewohntes Aggressionspotenzial aufweisen – natürlich nicht alle, aber doch bemerkenswert viele. Es gilt wieder, das Beiboot des nächtens hochzuziehen und abzusperren, das Deck vollständig zu klarieren bzw. alle Zugänge zu verschließen und auf der Straße wachsam gegenüber kleineren Gaunereien zu sein – eine Situation, die wir seit Lateinamerika nicht mehr kennen.
Unseren Schiffsmüll müssen wir im Quarantänebüro abgeben und umgerechnet € 6 dafür entrichten, groteskerweise führt der Weg dorthin über mit Abfall und Unrat übersäte Erdstraßen.
Der Yacht Club stellt im Zuge des Aufenthaltes in Honiara gleichsam eine Oase dar, obwohl sich dort am zweiten Abend, während wir gerade essen, eine handfeste Schlägerei entwickelt. Bis zum Eintreffen der Polizei verlagert sich das Kampfgeschehen mit ca. zehn Akteuren etwa vier Meter an unseren Tisch heran. Im Gegensatz zu unseren australischen Schiffsnachbarn, die – allerdings mit zwei kleinen Kindern – fluchtartig zu ihrem Boot zurückkehren, lassen wir uns den Appetit nicht verderben, müssen jedoch später als Zeugen „der ersten Reihe“ aussagen, was bekanntlich wenig Freunde macht… Bis zum Tanzabend am folgenden Tag haben sich die Gemüter aber längst beruhigt, und die Stimmung im Club ist wieder entspannt.

In den Salomonen treten bei Wolfgang erneut intensive Schmerzen im Bereich des rechten Ohres auf, deren Entstehungsgeschichte hier unerwähnt bleiben soll… Evi läuft als Laienpharmazeutin zu Hochform auf, und Internistin Kirsten von der „Sappho“ wird über Funk konsultiert. Das Ergebnis ist die Einnahme verschiedenster Medikamente mit diversen Nebenwirkungen. Nachdem uns seit Wochen die – in Melanesien leider notwendige – Malariaprophylaxe schwächt, ist Wolfgang, sagen wir, wenig agil und entsprechend schlecht gelaunt.
Die Konsultation eines Arztes wird nach Sichtung der Räumlichkeiten und der Instrumente abgebrochen, von einem Besuch des Hospitals rät ohnedies jeder ab. Schließlich findet Wolfgang einen älteren Inder, an dessen leicht verschimmelten Wänden ein schief gerahmtes Dokument prangt, das den Besuch einer medizinischen Schule auf Fiji bestätigt. Die Diagnose lautet: Kapselverletzung des Kiefergelenks, aber keine Beeinträchtigung des Innenohrs oder der Zähne – man glaubt, was man gerne glaubt, und Wolfgang fühlt sich augenblicklich besser; was auch der Bordfrau zugutekommt…

Der Aufenthalt in Honiara hat vorrangig organisatorischen Charakter. Wir verproviantieren uns am Markt, reichen das Visum für Papua Neuguinea ein und nützen den, wenn auch schwachen, Internetzugang, um unserem Webmaster Gottfried die aktuellen Bericht für die Homepage und der Redaktion von „Ocean7“ einen neuen Artikel zu schicken. Die Sehenswürdigkeiten beschränken sich weitgehend auf Wracks von Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen des Zweiten Weltkrieges, die an Stränden und in Kokospalmenplantagen verrosten und verwittern, oder unter Wasser von Korallen überwachsen werden – das Gewässer nördlich der Hauptstadt, die selbst aus einem amerikanischen Militärcamp gewachsen ist, nennt sich bezeichnenderweise „Iron Bottom“.
Ausgerechnet die politisch eigentlich unbedeutenden und verschlafenen Salomon – Inseln spielten während des Zweiten Weltkrieges eine entscheidende Rolle und waren Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen Amerikanern und Japanern.

Unser Besuch ist zu kurz bemessen, um die Stärken und Schönheit des Inselstaates zu erfahren, die sich vermutlich eher in den nordwestlichen Inseln entfalten. Für die wenigen Ankerplätze werden von nicht berufenen „Locals“ gerne unverhältnismäßige Gebühren gefordert, das Kriminalitätsproblem kann nicht übersehen werden, und die Existenz von Salzwasserkrokodilen, mit denen man seit den Banks Inseln an verschiedenen Plätzen rechnen muss, schränken die Lust zum Verweilen doch ein wenig ein.

Ein Lichtblick unseres Aufenthaltes ist das Einlaufen der „Galateia“ mit Wolfgang, Freund Christian und herzerfrischender bayrischer Crew Bärbel und Klaus. Selbst Frohnatur Wolfgang, der jeweilige Umstände stets aus dem bestmöglichen Blickwinkel zu sehen pflegt, kann sich ein paar sarkastische Bonmots hinsichtlich der Gegebenheiten in Honiara nicht verkneifen.
Den launigen Abend auf der „Galateia“ wollen wir wegen unseres, für den nächsten Morgen geplanten, Auslaufens zu den Louisiaden, kürzer gestalten. Bei jedem Versuch aufs eigene Schiff zurückzugehen, schallt uns ein bayrisches: „Ja – hot’s euch nicht g’fallen hier bei uns?“ entgegen, und so verpassen wir den zeitgerechten Aufbruch.

Ausgerechnet diese nächste Etappe zu den – zu Papua Neuguinea gehörenden – Inseln der Louisiaden wird eine der härtesten unserer gesamten bisherigen Reise. Nach angenehmem Start sehen wir uns am Nachmittag von einer Minute auf die nächste von 25 Knoten Passat mit Windstille konfrontiert – als hätte jemand einen Schalter betätigt. Wir suchen, finden aber keine vernünftige Erklärung für das Phänomen und beginnen durch die Restdünung zu motoren. Erst in den Abendstunden stellt sich langsam wieder Südostpassat ein. Ab dem zweiten Tag segeln wir mit 20 bis 25 Knoten Passat, aber leider mit einem unverhältnismäßig hohen, steilen Schwell von querab. Kaum zuvor wurde „Sleipnir2“ so oft von Wellenbrechern überspült, zweimal läuft das Cockpit voll, und alles, was nicht rechtzeitig fest verzurrt wurde, wird weggespült. Die Mahlzeiten beschränken sich auf das Notwendigste, Geschirr stapelt sich bzw. verteilt sich im gesamten Backbordrumpf, und Körperhygiene fällt größtenteils aus.
Später als erhofft wirkt sich die Abdeckung von Rossel Island beruhigend auf den Seegang aus, aber wir sind deutlich schneller als ursprünglich kalkuliert.
Eine Ankermöglichkeit im Norden von Renard Island war im Hinterkopf immer eine gute Option, sollten wir den Pass durch das Barriereriff zu der Calvados Chain Gruppe nicht rechtzeitig während des Tages erreichen – eine Variante, die Evi immer noch bevorzugt. Wolfgang sieht genug Zeitpuffer, um direkt durch die Passage zu unserem eigentlichen Ankerziel zu fahren – Fehlentscheidung oder nicht, der Skipper muss einige Kritik von seinem Admiral einstecken. Im Wuri Wuri Pass – heißt tatsächlich so – sehen wir uns mit ca. 3 Knoten Gegenstrom und typischem Strömungsseegang konfrontiert, in der Lagune selbst baut sich durch die verhältnismäßig großen Distanzen entsprechender Schwell auf, und wir motoren unter Höchstdrehzahl gegen 25 Knoten Wind. Es wird spannend, aber wir steigern uns von anfänglichen 1,5 Knoten über Grund auf sagenhafte 5 Knoten (Strom zu unseren Gunsten) und erreichen die Nordbucht von Bagaman Island rechtzeitig vor Dämmerung, um ohne Zeitdruck einen passenden Ankerplatz zu suchen. Zeit, die wir – wie angenommen – auch tatsächlich brauchen. Zweimal muss Wolfgang tauchen, um den Bügelanker aus Korallenblöcken freizulegen, erst das dritte Manöver stellt uns (zumindest für die erste Nacht) zufrieden.
Wir sind endlich in Papua Neuguinea angekommen, einem Land, das schon so viele Jahre auf der Wunschliste unserer Reiseziele steht…