Durch den Suezkanal nach Zypern

Ein halbes Jahrhundert nach Napoleon bekam schließlich Ferdinand de Lesseps eine Konzession für den Bau (1859 bis 1869), den er nach den Plänen des in Italien geborenen Österreichers Alois Negrelli realisierte.
Zur Eröffnungsfeier dieser Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer wurde übrigens nicht – wie vielfach angenommen – Aida (Uraufführung 1871 in Kairo), sondern Giuseppe Verdis Oper Rigoletto gespielt.

Wir warten weniger feierlich zunächst auf den Vermesser, dann – immer die Wetterlage des östlichen Mittelmeeres im Auge – auf den geeignetsten Termin für den Transit. Sobald Kriegsschiffe oder Unterseeboote den Kanal benützen, bleibt er für Privatyachten gesperrt, wodurch über der persönlichen Zeitplanung immer ein Damoklesschwert schwebt. Zum Leidwesen von Katamaranbesitzern werden die Kosten für den Transit nach Schiffsvolumen berechnet, für die „Sleipnir2“ schlägt sich das mit 225 US Dollar zu Buche. Bei der Einhebung diverser weiterer Gebühren sind die Ägypter weniger einfallsreich als vielmehr anmaßend und geldgierig.
Für die Abwicklung der Formalitäten arbeiten wir mit der Legende unter den hiesigen Agenten, dem „Prince of the Red Sea“, zusammen – Kapitän Heebi hat das Geschäft von seinem Vater übernommen und kann (bei ausreichender Toleranz und Nachsicht) als Schlitzohr bezeichnet werden.
Die zweifellos beträchtlichen Einnahmen seiner Agentur investiert er offenbar mit Vorliebe in neue Autos; Kleidung und vor allem sein Gebiss haben scheinbar geringeren Stellenwert…

Obwohl mit der arabischen Mentalität mittlerweile bestens vertraut, kommt Wolfgang mit den unverschämten, jeglicher Verhältnismäßigkeit entbehrenden Forderungen der Ägypter nach Bakschisch verschiedenster Art nicht zurecht. Innerhalb der ersten beiden Tage in Port Suez ergreift er wirklich jede sich bietende Gelegenheit zur Auseinandersetzung und hat somit bald das Personal des gesamten YC Suez gegen sich. In logischer Konsequenz macht man ihm das Leben im Yachtclub schwer. Die obligate Passkontrolle erfolgt bei ihm zweimal, manchmal dreimal am Tag, wobei der vermutlich nicht des Lesens mächtige „Beamte“ den Ausweis – verkehrt haltend – minutenlang begutachtet, um Wolfgang schließlich zu fragen, ob er Schweizer ist…
Von Evi und Gerhard (SY „Aquila“) entsprechend gebrieft, stellt der „unbalancierte“ „Sleipnir2“-Skipper sein Verhalten im Laufe der Zeit um und schließt gegen Ende des Aufenthaltes mit dem ein oder anderen Angestellten des YC fast noch Freundschaft – trotzdem werden sämtliche wesentlichen Gespräche hinsichtlich des Transits weiterhin sicherheitshalber von Evi geführt. Zumindest der Internetzugang im Yachtclub ist hervorragend und wird von den wartenden Yachties entsprechend genutzt.

Ein Abszess an Evis großer Zehe lässt uns nicht nur den bereits gebuchten Ausflug zu den Pyramiden und nach Kairo stornieren, sondern stellt darüber hinaus auch die Weiterfahrt in Frage. Wir kontaktieren unsere südsteirischen Freunde Sonja und Ramon, und Wolfgang bekommt von Ramon via Skype ärztlichen Beistand und klare Anweisungen hinsichtlich einer kleinen „Notoperation“ mit anschließender Penizilinkur. Nach einem durchaus gelungenen Eingriff präsentiert sich die „Sleipnir2“-Bordfrau nach wenigen Tagen wieder in Bestform, und wir mailen in die Südsteiermark ein herzliches Dankeschön.
Wir verproviantieren uns in Port Suez, verbringen launige Abende an Bord der „Aquila“ und der amerikanischen Yacht „Macy“ (die als „Kestrel Lead“ unser Referenzschiff während des Konvois war), bis wir am 16. April das erste Teilstück des Suezkanals in Angriff nehmen. Um 22.00 des Vorabends bekommen wir endgültig die Freigabe, dass am folgenden Tag kein Kriegsschiff durch den Kanal geht, und um 05.00 morgens wird der Lotse an Bord unseres Kats gebracht.

In Port Suez haben die den Kanal ein- bzw. ausfahrenden Containerriesen unseren Mooringplatz so knapp passiert, dass wir die Stimmen der Besatzungen hören konnten, jetzt in der Wasserstraße selbst überholen sie uns in einem Abstand von weniger als drei („Sleipnir2“-) Bootslängen – endlos hohe Schiffswände mit den Aufschriften der größten Reedereien wie Maersk, MSC, CMA – CGM oder Cosco in gigantischen Lettern.

Der Adviser steuert „Sleipnir2“ den ganzen Tag über, spricht kaum ein Wort Englisch und ist dadurch bedingt ein eher stiller Geselle – uns ist das durchaus angenehm. Insgesamt bekommen wir den Eindruck, dass für die „bescheiden“ und weniger komfortabel wirkende „Sleipnir2“ die zweite oder sogar dritte Garnitur von Piloten eingeteilt wird. Ein wesentlicher Vorteil für uns, da wir uns nicht mit sagenhaft anmaßenden Bakschisch-Forderungen wie die Skipper anderer Boote herumschlagen müssen, deren ohnehin überzogene Geldgeschenke teilweise mit Entrüstung und abfälligen Bemerkungen „gnadenhalber“ entgegengenommen werden.
Auch der obligate Stopp auf halber Strecke im YC Ismailia macht uns bald klar, dass es Zeit wird, das Land mit der großartigen Historie so schnell wie möglich zu verlassen.

Am folgenden Morgen kommt der neue Lotse an Bord, und wir gehen Anker auf für das zweite Teilstück nach Port Said. Kapitän Ramadan (vielleicht ein Spitzname?) spricht wirklich kein Wort Englisch, und seine Arbeit an der Pinne muss von uns überwacht werden, andernfalls kämen einige kleine Fischerboote zu Schaden – ja, im nördlichen Abschnitt des Suezkanals wird gefischt!
Evi überreicht ihr gut verschnürtes Geschenkpaket taktisch klug stets unmittelbar vor Ende des Transits – eine Vorgangsweise, die unseren Piloten kurz vor Port Said doch ein wenig beunruhigt, und wir ihm somit tatsächlich noch seine vermutlich einzige englische Phrase „Where is my present?“ entlocken.
Wenn der Adviser dem Pilotboot Unzufriedenheit avisiert, kann es durchaus vorkommen, dass die Yacht letztlich gerammt wird und kleine Schäden am Rumpf davonträgt. Das Übersteigen auf das längsgehende Lotsenboot erfordert aber Kapitän Ramadans ganze Aufmerksamkeit, so bleibt unsere Geschenktasche bis zuletzt ein „Paket Surprise“, und wir entschwinden unbehelligt im Schutz der mittlerweile nächtlichen Dunkelheit aus dem Hafen von Port Said.
Wir sind nach über zweieinhalb Jahren (!) wieder im Mittelmeer, aber der dichte Berufsschifffahrtsverkehr, die teilweise unbeleuchteten Fischerboote und die Ölplattformen fordern für die nächsten 30 Seemeilen unsere volle Konzentration.

Zwei ausgesprochen leichtwindige Tage später taucht die Küstenlandschaft Zyperns in der nördlichen Kimm auf, und wir steuern auf die kleine, geschichtsträchtige Stadt Paphos im Südwesten der seit 1974 geteilten Inseln zu. Über Funk vernehmen wir, dass der enge Hafen zum Bersten voll ist, aber Port Authority heißt uns dennoch herzlich willkommen, und nach einigen Sondierungsrunden quetschen wir uns an etlichen Booten vorbei und gehen längs an einen großen schwedischen Katamaran. Zypern, die drittgrößte Insel im Mittelmeer (nach Sizilien und Sardinien), gehört geographisch zu Asien, politisch aber zu Europa. Wir fühlen uns unabhängig davon zurück in der Alten Welt, die Preise auf den Speisekarten bestätigen uns dies eindrucksvoll…
Mit einem gemieteten Auto unternehmen wir Erkundungsfahrten entlang der Süd- und Westküste, genießen das mediterrane Flair und sehen die erste Giftschlange in freier Wildbahn im Rahmen unserer Reise – außerdem nützen wir den fahrbaren Untersatz, um Benzin, Proviant, griechischen Wein und Metaxa zu bunkern.

Allerorts stoßen wir auf Ausgrabungen antiker Bauwerke und Stadtteile aus der Zeit der Diadochen bis in die Periode der Römischen Herrschaft, fallweise auch aus dem Hochmittelalter und der frühen Neuzeit. Die Ruinen von Paphos sind nicht umsonst im Katalog des UNESCO Weltkulturerbes aufgelistet, und wir sind über teilweise ausgezeichnet erhaltene Mosaike erstaunt. Der Zugang zu den Ausgrabungsplätzen ist kaum reglementiert, und die antiken Stätten sind vielfach zu Fuß von unserem Liegeplatz aus erreichbar, sodass es Wolfgang oft schwerfällt, das Kulturprogramm mit plausiblen Argumenten etwas zu kürzen. In Neuseeland würde man angesichts dieser Jahrtausende alten Kulturgeschichte jedenfalls vor Neid erblassen.
Der aus der frühlingshaft blühenden Küstenlandschaft aufragende Leuchtturm fügt sich passend in das Ruinenareal ein, ist entgegen seinem äußeren Erscheinungsbild aber in Betrieb, und der gut ausgebaute Weg entlang des Meeres bietet sich für ein monatelang vernachlässigtes Lauftraining geradezu an – aller Wiederanfang ist schwer, sehr schwer…

In Zypern treffen wir auf einen anderen, für uns neuen Typus von Cruisern: Segler, die sich über Jahre im östlichen Mittelmeer aufhalten, größtenteils auf eine lange Erfahrung im Fahrtensegeln zurückblicken können, und – aus welchen Gründen auch immer – bemüht sind, uns dies unmissverständlich beweisen zu wollen. Wir hören atemberaubende Schilderungen von Stürmen, gigantischen Wellenbergen und Nahezu-Kenterungen, ohne dass ein Kommentar unsererseits vonnöten oder gar erwünscht wäre. So nicken wir erfurchtsvoll in passenden Abständen, streuen in eigentlich nicht vorhandenen Sprechpausen ein „incredible“ oder „unbelievable“ ein und freuen uns dennoch über neue Bekanntschaften.

Wir machen das Beste aus der konstanten West- und Nordwestwindlage und genießen unseren Aufenthalt in der gar nicht so kleinen und sehr touristischen Hafenstadt Paphos einige Tage länger, als ursprünglich geplant. Am 29. April hoffen wir durch ein kurzes Wetterfenster zwar unter Motor, aber zumindest mit Stützsegel, in die Türkei übersetzen zu können – in Skiunterwäsche, Fleecejacken und Ölzeug lösen wir mit dem ersten Tageslicht die Leinen.