Im Königreich Tonga

Von Bora Bora über die Cook Islands und Niue nach Tonga

ein Taucher gibt seinen Köder ein wenig zu spät frei… Wir schnorcheln tags darauf am Ort des Geschehens, sehen allerdings nur einen Blacktip Shark, aber keinen der bulligen Lemmon Sharks.

Am 13. September laufen endlich mindestens zwölf Boote von Bora Bora mit Westkurs aus. Während der ersten Nacht sichten wir bis zu vier andere Schiffe gleichzeitig und mit der deutschen „Sappho“ fahren wir 36 Stunden exakt auf gleicher Höhe. „Sleipnir2“ kommt gut voran, und so erreichen wir das zu der südlichen Gruppe der Cook Inseln gehörende Aitutaki früher als erwartet. Die Nachtansteuerung wirkt leider nur auf den ersten Blick problemlos. Wir werden gewarnt, dass Fischernetze bis zu 400 Meter vor der Nordküste ausliegen, und unsere einzige Karte weist ungefähr diese Distanz als Fehler zur GPS-Position auf – sie stammt aus dem 19. Jahrhundert mit einer Korrektur aus dem Jahr 1906…
Kirsten und Joachim von der „Sappho“ dirigieren uns mittels Suchscheinwerfers zu einem möglichen Ankerplatz nahe am Riff, gleiches machen wir anschließend mit später einlaufenden Yachten.
Die Stelle erweist sich allerdings schon während der ersten Nachtstunden als ausgesprochen ungünstig, wodurch wir uns mit dem ersten Tageslicht vor die Einfahrt des Passes auf, für uns ungewohnte, 15 Meter Wassertiefe verlegen.
Christoph von der „Ishani“ hilft uns den Anker freizubekommen, anschließend frühstücken wir auf seinem geräumigen Kat, klarieren ein, unternehmen am Nachmittag einen Tauchgang am Außenriff und genießen abends das Barbecue im Ort – ein durchaus ausgefüllter Tag, der besonders in Wolfgangs Gesicht Spuren hinterlässt…

Obwohl der polynesische Tanz mit Feuershow der bisher eindrucksvollste unserer Reise ist, und wir die Atmosphäre auf der Insel als ausgesprochen sympathisch empfinden, ist unser Aufenthalt bedauerlicherweise trotzdem nur von kurzer Dauer. Durch die Strömung unmittelbar vor dem Arutunga Pass ist „Sleipnir2“ nie zum Wind ausgerichtet und liegt somit meist seitlich zum Schwell, wodurch wir auch diesen Liegeplatz nur als mäßig komfortabel erleben.
Während die ambitionierten Hobbyfotografinnen Evi und Anna (SY „Ishani“) für den bestmöglichen Bildausschnitt zum höchsten Punkt der Insel pilgern, versucht Wolfgang die mehrfach in Korallenblöcken verfangene Ankerkette freizulegen. Bei ca. drei Knoten auslaufender Strömung ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen – bis Tonga hätte der Luftvorrat der Tauchflasche kaum ausgereicht…

Tags darauf gehen wir dank tatkräftiger Unterstützung Seans von der „Adventure“ Anker auf und nehmen Kurs auf das ca. 600 sm im Westen liegende Niue. Über Funk berichten uns andere Segler euphorisch über ihren Aufenthalt auf dem Palmerston Atoll, welches ebenfalls zu den Cook Inseln gehört, und so entschließen auch wir uns kurzfristig Palmerston anzulaufen. Die einzigartige Geschichte der Bewohner dieses Atolls ist uns bekannt und wird schon in Wolfgang Hausners erstem Buch „Taboo“ beschrieben:
1862 lässt sich der britische Schiffszimmermann William Marsters hier mit drei polynesischen Frauen nieder und annektiert die Insel. Er zeugt 26 Kinder, teilt die Motus des Atolls in verschiedene Lebensbereiche und stellt strenge Regeln hinsichtlich der Heirat zwischen den „Familien“ auf. 1954 wird Palmerston von der Regierung als offizielles Eigentum der drei Familien anerkannt.

2008 leben noch 42 Einwohner auf dem westlichsten Motu, Palmerston Island. Sie haben sich gut organisiert und eine für diese Abgeschiedenheit ungewöhnliche Infrastruktur aufgebaut. Auf einem entlegenen, traumhaften Atoll hat man sich von westlichen Lebensstrukturen abhängig gemacht, die nur mit der Unterstützung und Hilfeleistung der vorbeikommenden Yachten aufrecht erhalten werden können, nachdem das Versorgungsschiff nur zweimal im Jahr anlegt. Die Erwartungshaltung an die Großzügigkeit der Segler ist hoch und fordernd, „bitte“ und „danke“ sind im Sprachgebrauch der Marsters leider kaum enthalten, und so bleibt für uns – trotz aller Gastfreundschaft – ein sehr zwiespältiger Eindruck von den Bewohnern Palmerstons.

Wieder einmal verzögert sich unsere Weiterfahrt auf Grund der Wetterlage. Die intertropische Konvergenzzone liegt in diesem Jahr ungewöhnlich weit südlich und sollte sich eigentlich als schmaler Gürtel nahe dem Äquator ausbreiten. Von Neuseeland ziehen südlich des 30. Breitengrades regelmäßig Tiefdruckgebiete ostwärts. Die Folge ist, zumindest für den Zentral- und Westpazifik, eine äußerst instabile, schwer vorhersagbare Wettersituation.

Endlich bekommen wir für den Schlag nach Niue ein etwa 60-stündiges, brauchbares Wetterfenster, und so legen mit dem ersten Tageslicht fünf Boote regattaähnlich – nahezu gleichzeitig – ab. Wir beschwören unser Schiff mit den Worten Moitessiers „lauf Sleipnir, lauf“ und segeln die knapp 400 Seemeilen in 63 Stunden. Kurz vor der Ansteuerung Niues bricht Wolfgangs Kreislauf zusammen, und Evi muss den Kat zur Gänze alleine fahren. Die Situation – zwei Tage vor Neumond, mit bedecktem Himmel und ohne Anhaltspunkte entlang der Küste – gibt dieser Nachtansteuerung einen besonderen Reiz. Wir wissen bereits, dass man die Ankerlichter vor dem spärlich beleuchteten Hauptort Alofi erst spät ausnehmen kann, und die Moorings sehr nahe an der Küste liegen. Christoph und Anna von der „Ishani“ geben Evi – trotz fortgeschrittener Nachtstunde – Lichtsignale, und Christoph geleitet sie mit dem Dinghy zu einer freien Boje.
Drei Stunden später zieht ein Gewittersturm mit Windspitzen bis 59 Knoten und sintflutartigem Regen über Niue, und wir beobachten die Geschehnisse durch unsere kleinen Luken mit großen Augen. Zwei Stunden später ist der Spuk vorbei, und wir fallen in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf.
Die Anerkennung für Evis Leistung seitens der anderen Schiffe, im speziellen der Bordfrauen, ist nicht zu übersehen – sie selbst hätte auf ihre „Solofahrt“ gerne verzichtet.

Kirsten von der „Sappho“, die im „normalen“ Leben als Internistin arbeitet, unterzieht Wolfgang am nächsten Tag einer eingehenden Untersuchung. Ihre Diagnose lautet Dehydration und Stressgastritis, der größte Teil der Organe befindet sich allerdings im Bestzustand. Wolfgang schließt daraus, seinen Bierkonsum erhöhen zu müssen und er erholt sich innerhalb der nächsten Tage zusehends.

Bei einer Fahrt um die Insel ist das Auswanderungsproblem des ca. 1400 Einwohner zählenden Kleinstaates unübersehbar. Wir kommen in vollkommen verlassene Geisterdörfer, und die Gräber, die über die gesamte Strecke entlang der Küstenstraße verteilt liegen, unterstreichen den morbiden Charakter dieses entlegenen Ortes. Mit der „Ishani“ – Crew besichtigen wir einige der Höhlen, die für Niue typisch sind – die Landschaft erinnert uns ein wenig an Malta.
Unter Tauchern ist dieses größte angehobene Korallenatoll der Welt bekannt für seine außergewöhnliche Unterwassersicht. Mit Christoph unternehmen wir einen Tauchgang, dessen Höhepunkte eine „Fahrt“ von Evi und Christoph in einem gesunkenen Landrover und die Begegnung mit einigen hochgiftigen Wasserschlangen darstellen. Obwohl die Tiere wegen ihres kleinen Mauls für den Menschen normalerweise keine Gefahr bedeuten, ist es doch ein – sagen wir – interessantes Gefühl, von so einer giftigen Schlange angeschwommen zu werden.
Weitaus imposanter ist allerdings das regelmäßige Auftauchen von Buckelwalen in unmittelbarer Nähe der Yachten. Die Meeressäuger ziehen langsam vorbei und können gut beobachtet werden, einige Segler folgen ihnen mit ihren Beibooten.

À propos Beiboot: bedingt durch den Schwell und das Fehlen jedweden Strandes ist es notwendig, die Dinghies mit Hilfe eines Krans aus dem Wasser zu heben. Mit einem ausgeklügelten System werden sie dann am Pier „geparkt“. Vor allem das Kranen der Beiboote der Neuankömmlinge sorgt immer wieder für Unterhaltung…

Die Bewohner Niues sind ausgesprochen freundlich und hilfsbereit, vielleicht auch deshalb, weil Tourismus im herkömmlichen Sinn kaum existiert. Äußerlich unterscheiden sie sich ein wenig von den Polynesiern der Gesellschaftsinseln, und wir glauben, den Einfluss der neuseeländischen Maoris zu erkennen. Die Währung ist der Neuseeland Dollar, und wir haben das Gefühl, uns langsam unserem großen Ziel zu nähern.

Die letzten vier Tage liegen wir in Niue unter bedecktem Himmel zwischen Nieselregen oder Wolkenbrüchen, und es ist feucht und kalt. Wir kämpfen an Bord gegen deutlich zunehmenden Schimmel, der auch vor Wolfgangs – Gott sei Dank – wenig benützter Geldbörse nicht haltmacht. Raue Seen lassen uns die Weiterfahrt immer wieder verschieben, aber schließlich brechen auch wir auf und fahren in den grauen Schleier, der wenig einladend westlich vor uns liegt.

Bereits während des ersten Nachmittags müssen wir Geschwindigkeit aus dem Boot nehmen, um eine Nachtansteuerung in Tonga zu vermeiden. Regenfronten bleiben während der gesamten Fahrt unsere Begleiter, und wir sind gezwungen, im Cockpit auszuharren, um die Windfahnensteuerung für die ständig wechselnden Bedingungen zu justieren.

In den Morgenstunden des zweiten Tages passieren wir die Datumsgrenze auf 171° 58,5’ West – eine andere Karte zieht die Linie auf 172° 50’ West. Wie und wo auch immer – sie ist politischen Ursprungs, läutet Tongazeit ein und lässt uns einen Tag verlieren. Auch wenn die Zeit relativ ist, ist sie doch durch den Lauf der Sonne – eigentlich der Erde – definiert. Da die Überquerung der Datumsgrenze auch unter Fahrtenseglern öfter für Verwirrung sorgt, wollen wir versuchen, sie für Interessierte kurz und nachvollziehbar darzustellen: Während sich „Sleipnir2“ am 6.10 um 06.00 morgens Bordzeit kurz vor der Datumsgrenze befindet, ist es in London am gleichen Tag, dem 6.10., 17.00 nachmittags UTC – wir sind 11 Stunden hinter UTC. Wenn „Sleipnir2“ die Linie überquert, ist in London natürlich noch immer der 6.10, 17.00 nachmittags UTC. Auf unserem Schiff springen wir allerdings auf den 7.10., 06.00 morgens Bordzeit – wir sind dann 13 Stunden vor UTC.
Merksatz: „Ost auf West – halt Datum fest, West auf Ost – spring getrost!“

Wenig später an diesem „neuen“ Tag segeln wir über den Tongagraben, der an mehreren Stellen Wassertiefen von über 10,000 Metern aufweist. Auf den Seegang sollte dies keinen Einfluss haben, da die Orbitalbewegung der Wasserteilchen nur der halben Wellenlänge entspricht, zumindest aber sollte diese Kreisbewegung bis zu Wassertiefen von 200 Metern nicht unterbrochen werden. Die Realität straft die Wissenschaft allerdings immer wieder Lügen, bzw. wird der Seegang des Ozeans offensichtlich durch viel mehr Parameter bestimmt, und so ist dieses interessante Thema immer wieder Anlass zu emotional geführten Diskussionen unter den Seglern.

Unter achterlichem Schwell steuern wir jedenfalls in den frühen Morgenstunden des 8.Oktobers die Inselwelt der Vava’u Gruppe mit dem Hauptort Neiafu an – wir befinden uns im Königreich Tonga.