Im Königreich Tonga

In den Gesellschaftsinseln – 2.Teil

Der Liegeplatz vor dem kleinem Dorf Fare hat Charme, gefällt uns ausnehmend gut, und nahezu alle vor Anker liegenden Boote kennen sich seit Monaten durch ihren mehr oder weniger gemeinsamen Weg über den Pazifik. Es ist Partytime, und die Weiterfahrt wird von den meisten immer wieder verschoben – auch deshalb bedingt, weil die wenigsten Segler während des Vormittags in guter Verfassung sind…

Endlich kommen wir dazu mit den beiden ehemaligen Berufstauchern Ike (SY „Rhythm“) und Chris (SY „Zephyranthes“) einen Tauchgang am Aussenriff zu unternehmen. „Rhythm“ kennen wir bereits seit Curaçao und mit „Zephyranthes“ waren wir im Panamakanal und haben uns ab den Galapagos Inseln an nahezu jedem Ankerplatz getroffen und so manchen launigen Abend verbracht.
Nach einigen Tagen läuft mit der „Oase III“ eine in Österreich weitgehend bekannte Yacht ein – wir verbringen zwei Abende mit der sympathischen österreichischen Crew und genießen im Zuge dessen ein Palatschinkenessen mit frisch geschlagenem Schlagobers!
Norbert Sedlacek ist vor einigen Jahren mit diesem Schiff einhand entlang des südlichen Polarkreises um die Welt gesegelt, Ende November soll die „Oase III“ – soweit wir erfahren – von Tahiti über das Kap Hoorn zu den Kanarischen Inseln überstellt werden.

Wir mieten Fahrräder und lernen eine teilweise noch relativ ursprüngliche Insel kennen, die eine Ahnung zulässt, wie das Leben in Polynesien abgelaufen sein mag, bevor zuerst Missionare und später der Hochpreistourismus den Inseln ihren Stempel aufgedrückt haben.

Unmittelbar nach diesem Ausflug erfahren wir per Mail vom Tod von Evis Cousin Franz, der ihr wie ein älterer Bruder war, und – bedingt durch Evis ohnehin kleine Familie – verwandtschaftlich besondere Wichtigkeit besaß. Fassungslos sind wir wie betäubt und nicht in der Lage diese Nachricht zu realisieren, die ab jetzt wie ein dunkler Schatten über uns liegt.
Wir bleiben noch einige Tage in Huahine, um den guten Internetzugang dafür zu nutzen, mit allen Betroffenen Kontakt halten zu können, was vor allem für Evi fast therapeutische Wirkung hat.

Mit drei anderen Yachten setzen wir nach Raiatea – dem Charterzentrum Französisch Polynesiens – und Tahaa über. Beide Inseln liegen innerhalb eines großen Riffsaums und sind unter anderem auch für ihre besonders tiefen Ankerplätze bekannt. Bedingt durch unsere manuelle Winsch wäre ein Ankermanöver selbst für Wolfgang ein bisschen zu viel unfreiwilligen Trainings, und nachdem wir mit dieser Situation nicht alleine sind, kommt es zur ein oder anderen Wettfahrt um die zur Verfügung stehenden Bojen.
Anne und Paul sind immer mit dabei, und es hilft uns bei diesen kleinen „Regatten“ ein bisschen, dass die „Free Spirit“ – aus Ferrozement gefertigt – mehr als 20 Tonnen wiegt…

Nach einem Tag in Raiatea, das besondere historische Bedeutung als ehemaliges Königreich „Havai’i“ hat, reservieren wir über Funk eine Mooring vor dem Taravana Yacht Club im Süden von Tahaa. Der Club liegt in einer malerischen – vor Südseeflair triefenden – Kulisse, und so fällt es uns leicht (auf Grund der schlechten Wetterlage) die Weiterfahrt nach Bora Bora zu verschieben und das etwas überteuerte Buffet des Yachtclubs inklusive Tanzshow zu buchen.

Die Überfahrt nach Bora Bora entwickelt sich zu einer kleinen Privatregatta zwischen „Sleipnir2“ und der sechs Meter längeren „Zephyranthes“, deren Mast exakt die doppelte Höhe misst. Unser kleiner Kat schneidet gar nicht so schlecht ab, und beim obligaten Besuch am Ankerplatz klopft Chris anerkennend auf unser Backbordheck – wie es eben bei Rennpferden üblich ist, wenn sie ein gutes Rennen gelaufen sind (Sleipnir = achtbeiniges Pferd Odins in der germanischen Mythologie)…

Am folgenden Tag ergattern wir – dank taktischer Absprache über VHF – eine freie Mooring vor dem Nobelrestaurant Bloody Mary und natürlich nehmen auch wir einen Drink in dem urigen Lokal, dessen zahlreiche prominente Besucher auf Holztafeln neben dem Eingang verewigt sind. An diesem Abend erzählt uns Rob, der mit seiner Frau Ruth seit der Karibik auf der „Zephyranthes“ als Crew unterwegs ist, von seinem 18-monatigen Aufenthalt in der Antarktis, im Zuge dessen er in Kriegsgefangenschaft während des Falklandkrieges geriet. Auch wenn Robs schottischer Akzent eine Herausforderung für jeden Zuhörer darstellt, wird klar, dass er kaum in die Kategorie Stubenhocker einzustufen ist.

Auf Anraten unserer Freunde Ingrid und Robert (ehemals SY „Idemo“) will Wolfgang mit den Crews von „Rhythm“ und „Zephyranthes“ eine Wanderung auf die markante Bergspitze Bora Boras, den Mt Otemanu, unternehmen. Am Informationsschalter im Hauptort Vaitape bekommt er – nebst einigen organisatorischen Umständlichkeiten – die Auskunft, dass dieser alpine Ausflug nur mit einem Bergführer unternommen werden kann. Es folgt eine kurze Auseinandersetzung, an deren Ende man sich zumindest darüber einigt, dass man sich gegenseitig höchst unsympathisch ist.
Etliche Tage später nehmen Chris, Rob, Ike, Daniel und Wolfgang den Berg in Angriff – ohne Guide. Bereits während des Aufstiegs setzt intensiver Regen ein, der Gipfel präsentiert sich in Wolken gehüllt, und der Abstieg der ohnedies anspruchsvollen Tour wird zum Abenteuer. Chris stürzt an einer „Schlüsselstelle“ ca. drei Meter ab und verletzt sich am Brustkorb, kann aber noch vor Einsetzen der Dämmerung zurückgeleitet werden.

In Bora Bora gibt es ein großes Wiedersehen mit vielen Yachten, mit denen wir seit Panama an den verschiedensten Orten zusammengekommen sind, und unser ohnedies (zu) umfangreiches soziales Leben intensiviert sich noch. Die äußerst ungünstige Wetterprognose lässt auch jene Boote im „goldenen Käfig“ der Lagune ausharren, die uns schon relativ weit voraus waren. Schon seit Tagen wissen alle, dass sich durch ein weit südlich liegendes Hoch und ein östlich davon befindliches Tief Starkwind und vor allem eine hohe See zwischen den Gesellschaftsinseln und Tonga aufbauen wird. Über Kurzwelle hören wir die – zu Recht – besorgten Yachten, die sich bereits in diesem Gebiet befinden und sind erstmals froh, ein wenig verspätet auf unserem Weg durch den Pazifik zu sein.

Wir segeln bzw. motoren um die gesamte Insel und verlegen uns in den südöstlichen Teil der Lagune an einen der schönsten Ankerplätze unserer bisherigen Reise. Nie zuvor haben wir so viele unterschiedliche Blau- und Türkistöne des Wassers gesehen wie vor diesem Palmenstrand. Unmittelbar hinter dem Außenriff kann man beim Schnorcheln Rochen und Haie beobachten – die Sichtweite unter Wasser schätzen wir auf 40 Meter. Wenn sich Bora Bora an der Westseite als eine von vielen schönen Inseln präsentiert hat, so zeigt sich an der Ostseite, dass sie ihren einzigartigen Ruf zu Recht genießt.

Der Wechsel des Liegeplatzes erweist sich nachträglich als richtig: Tage später reißt eine Mooring vor der Bloody Mary, und einige Dinghys werden in Böen hochgehoben und kentern.

Aber jedes Paradies hat seine Schattenseiten – hier in Form freilaufender Hunde, die uns selten freundlich gesinnt sind. Wir überstehen eine haarige Situation mit einem Rottweiler, während Mike von der SY „Summer Wine“, der durchaus eine stattliche Erscheinung ist, sogar von einem Hund gebissen wird.
À propos „Summer Wine“: die nur 8 Meter lange Slup (einmastiges Segelboot) ist vermutlich die kleinste Yacht, die diese Saison über den Pazifik segelt. Das gewichtige Ehepaar Mike und Ilona, unterwegs mit ihren beiden Söhnen, einer Katze und einem Hamster, ist zudem ausgesprochen gastfreundlich. Es gibt ein witziges Bild, wenn drei Beiboote am Heck der „Summer Wine“ festmachen, und sich der Vergleich mit einer Spielzeugeisenbahn aufdrängt.

Noch ärgerlicher als die Hundeplage sind aber die Einbrüche in verschiedenen Yachten, die sich hier bemerkenswert häufen. Aus der amerikanischen SY „Adventure“ werden Instrumente im Gegenwert von ca. € 7000 gestohlen, und zwei Tage später wird in unserer Bucht in drei Yachten eingebrochen, obwohl man einen Wachrhythmus vereinbart hat.
An unserem Nachbarschiff versucht man sich erfolglos am versperrten Dinghy – ausgerechnet in dieser Nacht haben wir unser Beiboot an den Davits hochgezogen… Wir werden an die Gegebenheiten in Venezuela und Panama erinnert und legen wieder die dort praktizierten „Verteidigungstaktiken“ an.
Obwohl die meisten der zahlreichen Hotels wie Geisterstädte leer stehen, und sich so mancher einsame Gast in seinem Liegestuhl wohl fragen muss, was bei seiner Buchung falsch gelaufen ist, hat der Tourismus hier eine für Französisch Polynesien untypische Insel geprägt. Der Bogen vom ursprünglichen Fatu Hiva (Marquesas) nach Bora Bora spannt sich nicht nur topographisch weit…

Gegen Ende unseres Aufenthaltes legen wir uns an eine Mooring des wiedereröffneten Bora Bora Yacht Clubs. Wir genießen das Clubleben, scharren aber – wie eine ganze Armada von anderen Schiffen – in den Startlöchern, um mit dem lange ersehnten Wetterfenster zu den Cook Inseln oder direkt nach Tonga aufbrechen zu können. Bei den diversen kulinarischen Abendveranstaltungen (Barbecue oder Barbecue bzw. Barbecue) sind die aktuellsten Wetterberichte das vorherrschende Thema, und es zeigt sich deutlich, dass mehr Information nicht zwingend zu klaren Entscheidungen führen muss…
An der Bar – wo sonst – kommt Wolfgang mit der Segellegende Roy von der „Sea Loone“ ins Gespräch. Der Einhandsegler ist noch ein „Überlebender“ der Generation der Segelpioniere – er quittiert die allgegenwärtigen Diskussionen um die diversen Wetterberichte mit einem Kopfschütteln. Das Wetter beurteilt er nach der eigenen Beobachtung, und eine Weltumsegelung sowie 30 Jahre Cruisen im Zentral- und Westpazifik haben eine markante Gestalt geformt, der man die zahlreichen Storys eines Seglerlebens gerne abnimmt – z.B. aus der Zeit als er sich mit Schnecken- und Muscheltauchen im wahrsten Sinne des Wortes über Wasser gehalten hat.

Mitte der zweiten Septemberwoche verlassen die meisten Yachten Bora Bora, und auch für „Sleipnir2“ ist es nach drei Monaten Aufenthalt Zeit, Französisch Polynesien den Rücken zu kehren.