Im Königreich Tonga

Im Königreich Tonga

Vor allem Anna ist offensichtlich mit der Ausrichtung von Partys sehr vertraut, und so feiern wir mit knapp 30 anderen Seglern ein – wie wir glauben – gelungenes Geburtstagsfest, bei dem es an nichts zu fehlen scheint. Evi strahlt zumindest den ganzen Abend von einem Ohr zum anderen, und Isabel von der „Camissa“ leistet ihren Beitrag als Profifotografin.

Am folgenden Tag unternimmt Wolfgang mit Christoph, Tim und Isabel einen Tauchgang zu einem 400 Fuß langen Wrack im Süden der Bucht. Das Schiff liegt auf etwa 40 Meter, das Deck auf knapp 30 Meter Tiefe, es ist auf Grund vergangener Erdbeben leicht einsturzgefährdet, und die Sicht beträgt meist weniger als fünf Meter. Da wir eine Deko – Zeit von 22 Minuten einhalten müssen, zieht sich der Tauchgang ein wenig in die Länge, und so steigen nach mehr als 70 Minuten vier leicht unterkühlte Taucher wieder in ihre Dinghies. Trotzdem empfindet selbst Isabel, die als Unterwasserfotografin auf mehr als 4000 Tauchgänge zurückblicken kann, den Ausflug als ausgesprochen interessant und herausfordernd.

Nach ein paar erholsamen Tagen können wir die vielen kleinen Arbeiten, die an unserem Schiff anstehen, nicht mehr hinausschieben. Nachdem wir in den Gesellschaftsinseln offenbar unsauberes Benzin gebunkert haben, müssen jetzt beide Vergaser ausgebaut, darüber hinaus alle Filter getauscht und der Backbordtank gereinigt werden. Zwei Tage lang umgibt „Sleipnir2“ das Odeur einer Tankstelle, dann wenden wir uns anderem Zeitvertreib zu. Die Düsen des Gasherdes werden gesäubert, Wasserpumpen und Schalter getauscht, der Windpilot gewartet, die Pinnen geschliffen und gestrichen, und der Kampf gegen den allgegenwärtigen Schimmel wird mit Vehemenz geführt.
Bedingt durch zahlreiche Besucher in „Sleipnirs“ cosy Zeltcockpit beanspruchen diese Servicearbeiten unüblich viel Zeit. In einem nie da gewesenen Ausmaß stürzen wir uns in Tonga ins seglerische Gesellschaftsleben. Es entsteht ein Prozess, den wir später – als uns „alles zu viel wird“ – nicht mehr aufhalten können, und so fühlen wir uns ein bisschen wie Goethes Zauberlehrling.

In Neiafu angekommen, zeigen einige Yachten – sowie deren Besatzungen – deutliche „Verschleißerscheinungen“; vermutlich bedingt durch die langen Strecken über den Pazifik und die damit verbundenen zahlreichen Wetterkapriolen. Innerhalb weniger Wochen laufen in Fiji und Tonga sechs Schiffe auf Riffe auf. Drei dieser Boote kennen wir und wissen allzu gut, dass es sich um ausgesprochen erfahrene Segler handelt, zwei weitere Yachten sinken, wobei die Crews jeweils unverletzt abgeborgen werden können. Der allgemein bekannte Einhandsegler Sam auf seinem Ferrozementschiff „Ramprasad“ wird während der Ansteuerung auf Neiafu vermutlich von seinem Großbaum k.o. geschlagen. Das britische Boot „Oddity“ schleppt ihn ins Bojenfeld, und Sam ist noch Stunden später völlig ahnungslos, wo er sich befindet. Zum Zeitpunkt des Unfalls trug er zwar eine Rettungsweste, war aber nicht in die Sicherheitsleine eingepiekt und hatte somit wirklich großes Glück.
Etliche Schiffe haben nennenswerte Schäden an Rigg, Ruderanlagen, Motoren oder Probleme mit den Autopiloten.
Krankheitsfälle häufen sich in ungewohntem Ausmaß, und die Haus/Yachtbesuche von Kirsten mit ihrem Dinghy durchs abendliche Ankerfeld, wenn sie ihrem hippokratischen Eid Folge leistet, werden ein vertrautes Bild.

Kirstens bessere Hälfte Joachim ist wohl der engagierteste Fischer unter den Seglern. Nachdem er zweimal „mit ansehen muss“, wie Hochseefischer einen stattlichen Sailfish und tags darauf einen ca. 150 kg Blue Marlin anlanden, ist er für zwei Tage verschwunden. Von der „Sappho“ kann man aber deutlich Säge- und Bohrgeräusche wahrnehmen, und bald präsentiert er mit Stolz seine neue, sehr massive Spule mit 1000 Meter Angelleine.

Obwohl Neiafu, die zweitgrößte Stadt Tongas, ein wenig kosmopolitisches Flair besitzt, wird die Armut des Landes hier deutlich sichtbar. Die Lebensmittelläden, meist in chinesischer Hand, bieten sehr wenig Auswahl, und lange Reihen von Konservendosen ein und desselben Produktes sollen offensichtlich den Anblick halb leerer Regale verhindern. Durch das Ausbleiben des Versorgungsschiffes werden viele Grundnahrungsmittel, so auch Bier, knapp – hingegen am Markt, jetzt ganz langsam: „Utukalongalu“, gibt es ausreichend preiswertes Obst und Gemüse.

Am Sonntag besucht Evi die Hl. Messe, deren Höhepunkt der Gesang des Chores darstellt, den man weit über die Bucht hören kann. Ohne modische Überlegungen anzustellen, trägt man beim Kirchgang das beste Kleidungsstück mit penibel gewickelter Bastmatte – je kleiner der „Ta’ovala“, umso höher das gesellschaftliche Ansehen des Trägers.

Während unserer Wanderung zum Mount Talau, der den besten Ausblick auf die Bucht bietet, sehen wir die einfachen, teilweise verfallenen Hütten, in denen viele Tongaer abseits der touristisch geprägten Hauptstraße leben.

Nach knapp zwei Wochen verlegen wir uns in die Buchten der Inselwelt von Vava’u, um dem Trubel von Neiafu zu entkommen, mehr Ruhe zu finden und z.B. an diesem Logbucheintrag weiterzuarbeiten. Die Übung misslingt völlig, und wir bezahlen unseren Einsatz, einige Freunde in die Raffinessen des Kartenspiels „Schwarze Dame“ einzuführen, mit massivem Schlafmangel.
Einmal mehr liegt die englische Yacht „Zephyranthes“ neben uns – es ist unser 14. gemeinsamer Ankerplatz seit Panama. Wie üblich kommt Chris mit dem Dinghy vorbei, spricht seine gängige Begrüßungsformel, “Do you want to come over for a beer – or two?“ und macht dabei die für ihn typische Handbewegung.

Am Strand eines unserer Ankerplätze findet ein Feast statt, ein typisches tongaisches Mahl, das man mit den Fingern isst und in dessen Rahmen ein traditioneller Tanz geboten wird. Wir rüsten uns heimlich mit Gabeln aus und haben bei den knapp bemessenen Speisen Vorteile, die besonders von unseren Sitznachbarn nicht goutiert werden. Beim abschließenden Kava-Trinken der Männer aus halbierten Kokosschalen hält sich Wolfgang zurück. Der Geschmack der „flüssigen Erde“ mit leicht betäubender Wirkung für Zunge und Lippen macht es schwer, vor den Gastgebern nicht unhöflich zu erscheinen.

Eine Insel weiter müssen die Besatzungen von „Trenelly“, „Summer Wine“ und „Sea Bright“ die Erkenntnis gewinnen, dass die Gefahren beim Fahrtensegeln aus völlig unerwarteter Richtung kommen können. Sie werden bei einem Strandpicknick von einer Ziege attackiert, und Jason setzt sich offenbar mutig zur Wehr, wobei seine Körperhaltung allerdings doch Defensivtaktik erkennen lässt…

Wir segeln weiter zur Ha’apai Gruppe, die aus vielen kleinen und kleinsten Inseln und Riffen besteht. Noch während der Dämmerung kreuzt ein Wal unmittelbar vor „Sleipnirs“ Bügen unseren Weg, die Nachtfahrt verläuft aber in weiterer Folge sehr angenehm und völlig problemlos. Am nächsten Morgen ankern wir vor der Hauptinsel Lifuka, „Zephyranthes“ ist schon da, Chris kommt mit dem Beiboot, und die Dinge nehmen ihren Lauf…

Wir verbringen eine sehr entspannte Zeit vor Lifuka und gehen u.a. mit Isabel und Tim auf Lobsterjagd, die allerdings durch die Revieransprüche eines erstaunlich großen Whitetip Sharks erfolglos abgebrochen werden muss. Tags darauf brechen wir nach Nukualofa auf, der Hauptstadt Tongas, die in der Inselgruppe Tongatapu liegt.

Bevor man aus der Ha’apai Gruppe in freies Wasser gelangt, gilt es zahlreiche Riffe und Felsen durch sorgfältiges Navigieren zu umfahren. Seezeichen sucht man meist vergebens, und sowohl elektronische als auch Papierkarten weisen gravierende Abweichungen zur GPS – Position auf, also macht es sich Wolfgang auf der Saling bequem, um Evi von oben den jeweils richtigen Kurs anzusagen. Mittags fangen wir dann einen beachtlichen Mahi Mahi, der Evi hinsichtlich der Zubereitung unterschiedlicher Fischgerichte fordern wird.

Die Nachtfahrt gestaltet sich leider sehr mühsam, und so kommen wir reichlich übermüdet am Ankerfeld vor der Insel Pangaimotu, 1,5 nm nördlich des Hafens an, wo bereits ca. 40 Boote auf die Überfahrt nach Neuseeland warten. Für die abendliche Halloween Party im Big Mama Yacht Club hätte sich Wolfgang nach diesem Törn nicht verkleiden müssen, aber ein Gewittersturm zwingt uns zur Ankerwache, und so findet das Fest ohne uns statt. Bereits am nächsten Abend feiert der Besitzer des Clubs seinen 60sten Geburtstag, lädt das ganze Ankerfeld zur Party ein, und diesmal ist auch die „Sleipnir2“ – Crew dabei.

In die Unkenrufe über Nukualofa/Tongatapu als unangenehmen Platz, um auf das Wetterfenster für den Schlag nach Neuseeland zu warten, können wir nicht einstimmen. Die Strandbar Big Mama hat viel Flair, organisiert wesentliche Dinge für die Segler, und eine Fähre gewährleistet die Verbindung zur Stadt. Wir bereiten uns auf unsere letzte Etappe vor der „Zyklonpause“ vor, reinigen wieder Benzintank und Filter, servicen Ersatzteile, bunkern Benzin, Wasser und Gas und hören vor allem auf das Wetter…