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Von Tonga nach Neuseeland

Alle freuen sich über den Entschluss der „Sappho“ – Crew Kerstin und Joachim, auch nach Neuseeland zu segeln und nicht, wie ursprünglich geplant, die Zyklonsaison in Tonga zu verbringen. Joachim bleibt der ungekrönte König der Fischer unter den diesjährigen Pazifikcruisern. In den Vava’u Inseln fängt er eine 22 kg schwere Stachelmakrele – ein beachtliches Exemplar dieses Raubfisches.

Evi und Wolfgang ziehen sich einen Vormittag lang zur eingehenden Wetterberatung zurück, und so läuft am Mittwoch, dem 12. November, die „Sleipnir2“ aus – mit ihr 15 andere Yachten, die wie auf einer Perlenschnur aufgefädelt Richtung Egeria Channel segeln. Unmittelbar nachdem wir die Riffausfahrt hinter uns gelassen haben, setzen wir den Spi, wodurch intensive VHF – Konversation ausgelöst wird, “Which boat is already sailing under spinnaker?“ Innerhalb kürzester Zeit gehen auf den verschiedensten Schiffen die bunten Leichtwindsegel auf, wie Pilze nach dem Regen – das Rennen ins gelobte Land des Segelsports ist eröffnet…

Die erste Regenfront passiert uns bereits am Abfahrtstag, aber die zweite Nacht beginnt mit einer nicht enden wollenden Abenddämmerung, die geradezu kitschig alle Farben von Rot bis Türkis in den Himmel zaubert. Später spiegelt sich das Kreuz des Südens in der glatten See – der Ozean atmet, und die lange Dünung erinnert an die Lungen eines Riesen, den man keinesfalls unterschätzen darf.

Nach Überqueren des südlichen Wendekreises werden die Nächte, bald darauf auch die Tage, deutlich kühler – wir tragen Skiunterwäsche, warme Socken, Fleecejacken und Wollhauben. Die „Sleipnir2“ – Crew darf den Beweis antreten, ob sie einander um ihrer selbst willen lieben…
Noch vor Halbzeit des Törns segeln wir über den 180. Längengrad und befinden uns damit endgültig wieder auf der Osthälfte der Erde. Zu dieser Zeit haben wir immer wieder einen Gast an Bord – große Segler, wie beispielsweise Joshua Slocum, hatten während ihrer Solofahrten Wahnvorstellungen von imaginären Besuchern an Deck – ein Seevogel nützt auf „Sleipnir2“ tatsächlich die günstige Mitfahrgelegenheit.

 

Während der vierten Nacht bekommen wir gut dreißig Knoten Wind aus Südost, unser Zielhafen Opua kann zwar angelegt werden, aber wir segeln hoch am Wind, und „Sleipnir2“ muss von den steilen Wellen kräftige Schläge einstecken – es ist hart für “boat and body“. Die Halterung eines Solarpaneels zeigt Auflösungserscheinungen, und bei einer Routinekontrolle entdeckt Wolfgang, dass der Bügel des Genuablocks gebrochen ist. Glücklicherweise können wir ihn austauschen, bevor er vermutlich wie ein Torpedo nach Luv geschossen wäre. Zwischenzeitlich belegen wir die Genuaschot an einer kleinen Standardwinsch (nicht selbstholende Winsch) mit einem halben Schlag – ein wertvoller Tipp, den wir von Regattasegler Roland Pöschl bekommen haben, eine Methode die Wolfgang aber noch immer als „Pfusch“ bewertet.

Wenige Tage später lässt eine weitere Front keine Langeweile auf unserem Kat aufkommen. Nachts reißt unter dem Druck der Wellen das Netz des Steuerbordtrampolins, später werden die Frühstücksvorbereitungen durch einen lauten Knall unterbrochen: der Träger der Davits bricht an einer Stelle durch, die andere Seite reißt „nur“ ein. Als Folge hängt unser Beiboot halb im Wasser und schaukelt im hohen Seegang bedrohlich knapp vor der Windsteueranlage. Wir nehmen Fahrt aus dem Schiff, sichern das Dinghy mit einer Leine, machen die Taljen frei, um Abstand zum Pendelruder des Windpiloten zu bekommen und um das Beiboot längs am Backbordrumpf zu fixieren. Das Unterfangen wird durch den Umstand erschwert, dass wir bei längeren Fahrten die Abflussöffnung am Dinghyboden aufmachen, damit eventuelle Welleneinsteiger oder Regenwasser besser ablaufen können. Jetzt ist diese Maßnahme kontraproduktiv, weil das Beiboot natürlich sofort vollläuft. Die Mastwinsch ist schon seit Monaten nicht voll funktionsfähig, dadurch fällt eine Bergung über die Fallen aus. Schließlich können wir mit fantasievoll geführten Leinen das Dinghy an Bord bringen und am Vorschiff verzurren – dass beim anschließenden Frühstück der Kaffee kalt ist, tut dem Genuss keinen Abbruch…

An der Vorderseite eines nach Nordosten ziehenden Hochs müssen wir Süd- und Südsüdwestwinde in Kauf nehmen und segeln nicht nur optimal, sondern oft maximal, am Wind Richtung Westen. Die Rückseite des Hochs bringt uns dann die sehnlichst erwarteten Nordost und Nordwinde, wodurch wir zum Abschluss des Törns herrliches Raumschotsegeln genießen können.

Unser privates Funknetz (bestehend aus acht deutschsprachigen Booten) taufen wir bald nach Auftauchen der ersten majestätischen Seevögel: „Albatrosnetz“. Vorherrschendes Thema – abgesehen von den Windprognosen – sind die umfangreichen und restriktiven Zollauflagen für die Einreise nach Neuseeland. Bereits in Tonga haben wir uns durch Stapel von Formularen durchgearbeitet, detaillierte Daten per Email versendet und unterwegs über Funk unsere ETA (Estimated Time of Arrival) durchgegeben.

Schon seit Monaten stimmt Evi, in der ihr eigenen Konsequenz, den Menüplan auf „Sleipnir2“ hinsichtlich der strengen Lebensmitteleinfuhrbestimmungen in Neuseeland ab. Tatsächlich werden später die Zollformalitäten auf unserem vorbildlichen, österreichischen Boot friktionslos und rasch ablaufen. Nur einige Zwiebel, Knoblauchzehen und rote Pefferkörner wandern in den großen Müllsack der neuseeländischen Customs-Beamten.

Bei unserer Ankunft in der außergewöhnlich malerischen Bay of Islands, in der an diesem Samstag reger Schiffsverkehr herrscht, frischt der Wind auf ca. 25 Knoten von achtern auf. Unmittelbar vor dem Quarantänesteg laufen wir auch ohne Segel 3 Knoten über Grund, plötzlich quittiert der Steuerbordmotor den Dienst, und das Anlegen am – Gott sei Dank – überlangen Pier wird zur Herausforderung. Nur unter Backbordmotor kann der Kat kaum abgebremst werden, außerdem wird das Boot durch den Rückwärtsschub seitlich versetzt. Nach zwei missglückten Versuchen „Sleipnir2“ längs an den verwaisten Steg, an dem wir keine Fremdhilfe erwarten können, zu bringen, entschließen wir uns zu einem Notmanöver. Durch vollen Schub rückwärts verharrrt das Schiff mit dem Backbordbug kurz in einem Winkel von etwa 30° zum Pier – Evi fendert ab, und Wolfgang springt mit einer Festmacherleine über und bremst den Kat über eine Klampe ab. Das Boot schwingt ca. 120° mit dem Wind herum, wir wechseln die Fender auf die andere Seite, der Rest ist routinemäßiges Leinenhandling.

Nach 1130 Seemeilen haben wir mit Riesenglück und wohl auch ein bißchen Erfahrung im Mekka des Segelsports ohne Schramme festgemacht. Die teilnahmslose, geistlos grinsende, amerikanische Crew, der gegenüber an einem Schwimmsteg liegenden Yacht, wird von Wolfgang in freier englischer Übersetzung mit dem Zitat von Goethes „Götz von Berlichingen“ bedacht – vorgetragen mit dem Brustton der Überzeugung.

Die Behörden gestehen uns zwar zu, am Quarantänepier bleiben zu können, bis der Motor wieder in Gang gesetzt ist – wir dürfen aber weder an Land gehen, noch Besuch empfangen, nicht einmal mit etwaigen anderen Booten am Steg Kontakt halten. Ein Wochenende in Isolation vor Augen rufen wir über VHF Chris von der „Zephyranthes“. Eine Viertelstunde später ist unser britischer Helfer mit Werkzeug bereit und bekommt – nach einem weiteren Funkspruch mit Customs Neuseeland – die Genehmigung, zur „Sleipnir2“ überzusetzen. Trotz Wolfgangs Assistenz gelingt es Chris, die Maschine innerhalb einer halben Stunde zu reparieren, und wir dürfen endlich unseren reservierten Liegeplatz in der Opua Marina ansteuern.

Abends feiern wir in illustrer Runde unsere Ankunft, belohnen uns mit dem größten Steak der Speisekarte und genießen das eine oder andere Bier. Den besonderen Geschmack des ersten Bieres nach so einer Überfahrt kann man nicht kaufen…