In den Louisiaden / Papua Neuguinea

Der erste Ankerplatz auf Bagaman Island in den Louisiaden entspricht nicht ganz unseren Vorstellungen: mehrfach verfängt sich die Kette in Korallenblöcken. Wir bereiten gleich am nächsten Morgen eine Erkundungsfahrt mit dem Dinghy vor, um unsere Situation zu verbessern und bekommen Unterstützung und ‚local knowledge’ von den Dorfbewohnern, die schon früh mit ihren Einbäumen unseren Kat „belagern“. Um die Ankerkette von den Korallenköpfen freizuhalten, heben wir sie dosiert durch den Auftrieb eines Kugelfenders an – der Erfolg ist eher bescheiden, aber wir verbessern das Verfahren im Laufe der Tage.

Im Regenwald unmittelbar hinter dem schmalen Strand sorgen Kakadus und grell rot-grün gefärbte Papageien für eine lebhafte, lautstarke Kulisse. Auf unseren Erkundungstouren sichten wir Schlangen, riesige Schmetterlinge, verschiedenste Vögel, aber glücklicherweise keine Krokodile. Wolfgang erkundigt sich nach den Echsen und erfährt, dass Sam aus dem Nachbardorf das Letzte erlegt hätte – wie? – komische Frage, mit einem Strick natürlich…

Hier in der Calvados Chain Gruppe innerhalb der Louisiaden lebt die Bevölkerung scheinbar völlig abgeschieden vom Rest der Welt. Noch nie waren wir so weit von westlicher Zivilisation entfernt und abgesehen von der später aufschließenden „Galateia“ bekommen wir in 3 Wochen kein anderes Schiff zu Gesicht. Die Gewässer von Papua Neuguinea liegen ein wenig außerhalb der meistbefahrenen Routen. Malaria, schlecht kartographierte Seegebiete mit teilweise starken Abweichungen von den Karten, Strömungen und nicht zuletzt eine in dieser Jahreszeit aktive innertropische Konvergenzzone mit Regen und Gewittern sind die Gründe dafür. Sie existieren also noch: die wenig frequentierten Segelreviere, deren Einsamkeit aber auch sehr drückend empfunden werden kann.

Der Ahnherr der österreichischen Segelaussteiger, Wolfgang Hausner, hat vor 35 Jahren etwa 150 Seemeilen nordwestlich von hier seinen Kat „Taboo“ auf einem unverzeichneten Riff verloren. Es muss tatsächlich eine abenteuerliche Herausvorderung und Leistung gewesen sein, sich in diesem Revier in der Pionierzeit des Blauwassersegelns bewegt zu haben.

Die Menschen sind ausgesprochen freundlich und kontaktfreudig. Während der Besuche in den einzelnen Dörfern wird schnell klar, dass man hier so gut wie keine Privatsphäre kennt, und auch wir auf der „Sleipnir2“ haben wohl keinen Anspruch darauf – man würde es nicht verstehen. Die Situation, dass Kinder ohne Scheu auf ihn zugehen, ist für Wolfgang etwas ungewohnt und gewöhnungsbedürftig. Anders als in Vanuatu bestehen die Siedlungen aus Pfahlbauten, meist findet das Leben der gesamten Familie innerhalb eines Raumes statt. Wir werden zum Abendessen eingeladen und beim dezenten Schein des Feuers essen wir weniger mit den Augen und müssen uns mehr auf den Geschmacksinn verlassen. Ein köstliches Mahl, hauptsächlich aus Yamswurzeln, Austern, Muscheln und Bananen, wird am Boden auf geflochtenen Matten angerichtet, die anschließend als Schlafstätte dienen – wir wissen uns rechtzeitg zu verabschieden…

Während des Tages kommen häufig Einheimische in Einbäumen zum Kat gepaddelt. Man will die Gelegenheit seltenen Besuch zu haben nicht ungenützt lassen und Handel treiben – das müssen wir auch, da wir die Landeswährung (Kina – Namensgeber ist die früher als Zahlungsmittel übliche Kinamuschel aus Goldlip Perlauster) nicht an Bord mitführen, aber an Bargeld hätte ohnehin niemand Interesse. Im Laufe der Zeit entwickelt Evi beachtliches Verhandlungsgeschick, während Wolfgang offensichtlich weniger Veranlagung dafür aufweist und dadurch einen guten Anlass sieht, sich mehr zurückzuziehen.
Wir tauschen Zucker und Reis gegen Schnitzereien, T-Shirts und Angelausrüstung gegen Lobster und Früchte. Obwohl man sich entwicklungsgeschichtlich vom Neolithikum wenig entfernt hat, spüren wir ansatzweise ein Leben im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne: eine Frau, deren Brüste unübersehbar aus den Löchern ihres Leibchens lugen, will kein neues T-Shirt, sondern fordert Haarshampoo für einen zugegeben beeindruckenden Lockenkopf…

Während unseres Aufenthaltes in der Calvados Chain ist uns die Wundversorgung der eitrigen Ekzeme, die hier speziell bei Kindern auftreten, ein großes Anliegen. Wir versuchen mit Salben und Antibiotika zu helfen und müssen dabei unsere immer noch bestehende Naivität und Ahnungslosigkeit gegenüber dem Leben der Insulaner erkennen und eingestehen: „Die Tablette nimmst du alle 4 Stunden“, „Wie alt ist das Kind?“,… Niemand weiß, wie spät es ist, die Zeit ist durch den Lauf der Sonne bestimmt, und kaum jemand kennt sein eigenes Alter – geschweige das eines anderen. Aufgaben und Arbeitsbereiche innerhalb der Gemeinschaft richten sich nach dem jeweiligen Entwicklungsstadium, ob das Kind 4 oder 6 Jahre, der Jugendliche 12 oder 13 Jahre bzw. der Erwachsene 25 oder 30 Jahre alt ist, spielt – eigentlich leicht nachvollziehbar – kaum eine Rolle.

Christoph, Chartergast auf der „Galateia“, ist Arzt und sichtet mit Evi den auf „Galateia“ und „Sleipnir2“ noch zur Verfügung stehenden Fundus an Medikamenten, Klaus und Bärbel haben als Vorbereitung auf ihren Melanesientörn in München eine Sammelaktion für Lesebrillen gestartet. Diese etwas umfangreichere Hilfsaktion in der Hoba Bay in Pana Numara scheint sowohl Dorfbewohner als auch Helfer gleichermaßen zufrieden zu stellen, insbesondere nachdem sich „Galateia“-Wolfgang als begabter Kinder-Animateur erweist.

An unserm letzten Ankerplatz in den Louisiaden, auf Pana Kuba, finden wir das beste Schnorchelrevier seit den Tuamotus vor, allerdings muss Wolfgang auch hier tief Luft holen, um die Ankerkette von Korallenköpfen freizulegen.
Gemeinsam mit der „Galateia“ brechen wir schließlich nach Port Moresby, der Hauptstadt Papua Neuguineas, auf, und das Barriereriff beschert uns gleich zu Beginn leichten Gegenstrom, aber auch einen kapitalen Wahoo. Entgegen den Angaben der Seehandbücher setzt der Strom über die gesamte Strecke mit 1 bis 2 Knoten gegen uns, die Genua reißt unterhalb der Kopfverstärkung durch, und die Steuerleine des Windpiloten löst sich (wenig verwunderlich) nach 2 Jahren auf – so erreichen wir erst nach mehr als 3 Tagen knapp vor Dämmerung die Marina von Port Moresby.