Aden – Jemen

Dieses Prozedere wiederholt sich für jede Arbeitskraft, welche in den folgenden Tagen auf „Sleipnir2“ werkt, und wir kalkulieren dadurch eine bedingte Verzögerung von etwa einer Stunde fix in unsere Zeitplanung ein. Besonders der obligate Beamtenauflauf auf der Polizeistation, wo jedes Mal über unser Ansuchen wild gestikulierend und sehr emotional diskutiert wird (als beträfe es deren Antrag auf Gehaltserhöhung), bekommt mit zunehmender Routine Unterhaltungswert und ist eben Teil der arabischen Mentalität.

Omar Yuusuf behebt bald den Defekt am Steuerbordmotor, für das deutlich anspruchsvollere Problem der Backbordmaschine holt er am Nachmittag den Schiffselektriker Ramzy Hamed Al-Hamzy zu Hilfe. Ramzy spricht passables Englisch und wird nicht nur deshalb für die nächsten Tage unsere wichtigste Kontaktperson. Die beiden arbeiten bis in die Dunkelheit ohne Erfolg, wodurch wir zu spät zur Willkommensparty im Sailor’s Club erscheinen, ohne dadurch aber offensichtlich Wichtiges zu versäumen. Die noch etwas übermüdete „Konvoi-Familie“ sitzt tief in den Sesseln vor jeweils einer Dose Bier an trostlos leeren Tischen und lauscht wenig mitreißenden Ansprachen, zu denen sich einige Teilnehmer – vermutlich aus berufsbedingter Vergangenheit – scheinbar zwingend berufen fühlen.
Eine Dose Bier – ohne Glas serviert – kostet in dieser westlichen Enklave 4 US Dollar, um den gleichen Betrag isst die „Sleipnir2-Crew“ mit mehreren Getränken in einem jemenitischen Lokal authentisch zu Mittag. Die auf Zeitungspapier angerichteten Speisen werden in Fladenbrot eingewickelt und mit den Fingern gegessen, die Rechnung in arabischer Schrift wird ebenfalls mit Fingern übersetzt. Hinsichtlich unserer Motorenreparatur erscheint Ramzy am folgenden Morgen mit dem Mann, auf den wir lange gewartet haben: Samy, ein eher wortkarger Zeitgenosse, ist Spezialist für Yamaha Außenbordmotoren und lokalisiert den Defekt durch Ausschließungsverfahren an einer Cdi Einheit – eine verschweißte Black Box unterhalb des Schwungrades. Nachdem im Jemen fast ausschließlich 2-Takt Motoren in Gebrauch sind, wird es schwierig, den entsprechenden Ersatzteil aufzutreiben – man will aber das Möglichste versuchen. Am nächsten Tag ist Freitag und somit Feiertag im streng muslimischen Staat, und in der folgenden Nacht setzt strömender Regen die Stadt unter Wasser, legt die Stromversorgung lahm, wodurch Geschäfte und Werkstätten geschlossen bleiben.
Weitere Verzögerungen unserer scheinbar endlosen Motorentragödie sind mannigfaltig. Für die bereits erwähnten schriftlich einzureichenden Arbeitsbewilligungen wird, bedingt durch zeitweilige kurze Gebete der Beteiligten, viel Nervenstärke vom Europäer abverlangt – außerdem ist da noch die national verbreitete Sucht des Qat-Kauens, die von nahezu der gesamten männlichen bzw. etwa einem Drittel der weiblichen Bevölkerung gepflegt wird . Die Blätter des Kathstrauches (Catha Edulis) wirken angeblich stimulierend, steigern aber zumindest das allgemeine Wohlbefinden und werden mit etwas Wasser stundenlang gekaut, bis im Laufe des Nachmittags bei den Jemeniten der Eindruck entsteht, als verstecken sie einen Tischtennisball in ihren Backen. Die Anschaffung der Blätter ist nicht gerade billig, womöglich eine Erklärung für die doch bemerkenswerten Stundentarife unserer Mechaniker, in jeden Fall bekommt das Cockpit der „Sleipnir2“ durch das „Laub“ ein teilweise „herbstliches“ Flair.

Am fünften Tag unseres Aden-Aufenthaltes baut Samy die Cdi Einheit eines 40 PS 2-Takt Yamahamotors in die Backbordmaschine ein und improvisiert die Anschlüsse derart, dass wir endlich wieder den „Sound“ unseres Motors hören. Keine Ideallösung vor der Einfahrt in das berüchtigte Rote Meer, aber vor Ort offensichtlich der einzige, zumindest mittelfristige Weg aus unserem Problem. Die anschließenden Preisvorstellungen von Ramzy drückt Evi auf die Hälfte, aus den Gesichtern der beiden zu schließen, zahlen wir natürlich immer noch einen entsprechenden Touristenaufschlag.

Es bleibt uns noch, den nicht mehr auf der Bildfläche erschienenen Omar Yuusuf auszuzahlen, der aber plötzlich von den eingangs vereinbarten Tarifen nichts mehr wissen will und sagenhaft überzogenen Forderungen stellt. Auf das übliche Palaver und Feilschen um einen für beide Seiten akzeptablen Preis lässt er sich nicht ein und beschwert sich in weiterer Folge bei der Polizei (!). Für die Vorladung auf der uns längst bekannten Station haben wir den inzwischen freundschaftlich verbundenen Fremdenführer von „Silver Fern“ und „Sleipnir2“ Hamzah Yassin als Dolmetscher mit uns. Hamzah empfiehlt uns Zurückhaltung, die Diskussion würde ohnehin zu unseren Gunsten verlaufen. Auch die Polizei empfindet Yuusufs Vorstellungen weit fern jeder Verhältnismäßigkeit, außerdem entspricht es eben nicht der orientalischen Mentalität, derartige Verhandlungen über die Polizei oder andere Dritte auszutragen. Diese Ansicht teilen auch alle anderen Jemeniten, die am Prince of Wales Pier mit den Yachties in den verschiedensten Bereichen „zusammenarbeiten“. Eine entsprechend geführte Preisverhandlung – kann durchaus auch ein kleinerer, harmloser Streit sein – ist eben Bestandteil eines Geschäfts- oder Verkaufsgesprächs in diesem Teil der Welt. Omar Yuusuf und der ihn vermutlich unglücklich beratende Agent Omar werden jedenfalls aus dem Hafengelände verbannt und werden nicht mehr gesehen – allerdings nicht bevor wir ihm den angemessenen Betrag ausgehändigt haben.

Einen weiteren Menschenauflauf verursachen wir beim Versuch, Benzin von der örtlichen Tankstelle zu bunkern. Die vorsorglich eingeholte Permission, den Treibstoff durch das Gate am Prince of Wales Pier zu transportieren, ist offensichtlich gegenstandslos, als wir tatsächlich – vielleicht etwas unorthodox (siehe Foto) – mit unseren Kanistern anrücken. Eine rasch anwachsende Menge an Locals diskutiert heftig unser Anliegen, verschiedene Beamte werden mit den allgegenwärtigen Handys kontaktiert, und für die beiden Nemsas (Österreicher) heißt es wieder einmal „inschallah“. Schließlich dürfen wir natürlich unter der Versicherung etlicher „no problems“ und einem obligaten Bakschisch passieren und versorgen uns recht mühsam mit mehr als 200 Litern Benzin in Kanistern.

Interessanter als die Querelen mit Omar Yuusuf oder die auf uns etwas unappetitlich wirkenden grüngefärbten Zähne durch das Qat-Kauen, erscheinen die verschleierten Frauen, die das Stadtbild prägen. Im Gegensatz zum Oman begegnen wir hier einer breiten weiblichen Bevölkerung in der Öffentlichkeit – die überwiegende Zahl von ihnen ist verschleiert. Durch den Niqad (Gesichtsschleier) und den meist als Halbkreis geschnittenen Tschador (schwarzes Tuch als Umhang getragen) zeigen die Frauen nur ihre – oft geschminkten – Augen, die dann entsprechend geheimnisvoll und erotisch wirken. So mancher männlicher Skipper – nicht so Wolfgang – fragt sich natürlich, was sich hinter der traditionellen islamischen Bekleidung verbergen mag, und unabhängig vom kulturell-religiösen Hintergrund (stammt ursprünglich aus der Beduinenkultur) wird zumindest für die Yachties das Interesse an der weiblichen Bevölkerung eher gesteigert.

Durch eine Einladung Hamzahs zum Abendessen haben wir das Glück, zusammen mit der „Silver Fern“-Crew, einen Eindruck von den privaten Verhältnisse im Jemen zu bekommen. Bedingt durch die Gäste Bryce und Wolfgang trägt Hamzahs Frau auch in der Wohnung den Niqad (ihr Gesicht darf sie nur ihrem Ehemann und den männlichen Familienmitgliedern enthüllen), aber die offen geführten Gespräche mit der gebildeten Frau geben einen sehr interessanten Einblick in das gesellschaftliche bzw. familiäre Alltagsleben im Land. Die Einsicht in die weiblichen Belange im Jemen fasziniert Evi ebenso wie die offensichtlich aufgeklärten Frau, die in der Argumentation durchaus ihren Standpunkt gegenüber Hamzah verteidigt – der Arme wirkt nicht immer glücklich… Natürlich ist es undenkbar, dass die Frau des Hauses von männlichen Besuchern – in welcher Form auch immer – körperlich berührt wird, was Wolfgang nicht von einem weiterenVersuch abhält, zum Abschied der Gastgeberin erneut die Hände zu schütteln – auch sonst lässt er an diesem Abend kaum einen sich bietenden Fauxpas aus.

Wie die meisten Bordfrauen akzeptiert auch Evi weitgehend die Regeln der islamischen Kultur und trägt zum Kopftuch, gänzlich angepasst, eine schwarze, knöchellange Abaya. Bei den diversen Dinghyfahrten erweist sich die Tracht allerdings wenig vorteilhaft, und so hört man Evi ungewohnt deutlich und lautstark fluchen – wenn das Übersteigen vom Schlauchboot auf den Pier zum Balanceakt wird, oder die „Verkleidung“ im Hafenwasser getränkt wird.

Mit Hamzah unternimmt sie eine Einkaufstour nach Arab-Town, einem Stadtteil von Aden, der von Touristen völlig verschont ist. Entsprechend muss sie damit zurechtkommen, wie ein Alien bestaunt zu werden – aber Hamzah erweist sich in dieser Situation als unbezahlbar und zeigt den richtigen Weg bei Preisfeilschereien oder durch den Bazar.
Mit dieser Unterstützung ersteht Evi drei der für den Jemen so typischen Janbiyas, deren Kauf für uns schon vor Beginn der Reise feststand. Manche Männer im Jemen tragen im Alltag diesen traditionellen Krummdolch bauchseitig an einem Gürtel. Bryce von der „Silver Fern“ versorgt sich bereits am zweiten Tag mit authentischer Kleidung inklusive Janbiya, wodurch er sogar bei Ankunft der Vasco da Gama Rallye vom jemenitischen Fernsehen als „segelndes Original“ interviewt wird. Die drei für uns so interessanten Souvenirs kosten letztlich weniger als einer der typischen Dolche, welcher uns im Shop am Prince of Wales Pier als „very special price only for you my friend – I want to make you happy…“ angeboten wurde – jetzt sind wir wirklich happy.

Innerhalb der ersten Woche verlassen die meisten Teilnehmer des Konvois den Hafen, warum und wohin ist uns nicht ganz klar, da der Wetterbericht deutlich Gegenwind im Golf von Aden und Nordwindlagen im südlichen Roten Meer vorhersagt. Die verbleibenden Schiffe rücken ein wenig näher zusammen, und wir beschließen letztlich zu gegebener Zeit mit Gerhard und Wilma von der „Aquila“ (ehemals „Merlin 6“) gemeinsam auszulaufen.
Gerhard hat als Wissenschaftler in der Raumfahrt gearbeitet, lässt sich scheinbar durch nichts aus der Ruhe bringen und analysiert messerscharf, dass der 5. März der geeignete Tag ist, um Richtung Rotes Meer aufzubrechen – ein Datum, das auch Wolfgang (etwas weniger wissenschaftlich) ins Auge gefasst hat. Am Freitag, den 5. März brechen die „Aquila“ und die „Sleipnir2“ zu einer der bemerkenswertesten Fahrten ihrer gesamten Reise auf.