Galapagos Inseln zu den Marquesas

Nachdem Wolfgang wie ein Bittsteller eine Stunde im Büro des Hafenkapitäns für die Ausklarierungsformalitäten wartet, erklärt man ihm jovial, er möge am frühen Nachmittag wieder kommen. Drei Stunden später gehen die Formalitäten innerhalb von fünf Minuten über die Bühne, und „Sleipnir2“ läuft am Nachmittag aus der Bucht von Puerto Ayora aus.

Leider verschlechtert sich Evis Zustand, und eine angeschwollene Gesichtshälfte deutet zweifelsfrei auf eine Nebenhöhlenentzündung hin. Die fortdauernde Backschaft des Skippers findet ihren Höhepunkt in einem Spargel – Käseomelette, während sich die pharmazeutisch versierte Patientin mit einer Antibiotikakur therapiert. Evi schützt sich vor dem unvermeidlichen Zug an Bord durch eine Vollvisierhaube (Modell Bankräuber), und nach fünf Tagen zeigt die Therapie durch die Wiederkehr symmetrischer Gesichtsformen endlich Wirkung.

Wir fahren hart am Wind, durchschnittlich Etmale von 130 sm, damit wir möglichst bald auf 06° südliche Breite gelangen, um dort ostsüdöstliche Winde aufzunehmen. Nach drei Tagen kollidieren wir – unserer Einschätzung nach – mit einer Langustenreuse. Vermutlich wurde sie durch die südäquatoriale Strömung in diesen doch einsamen Bereich des Pazifiks geschwemmt. In jedem Fall hebelt sie den Aluminiumarm unseres Windpiloten aus, wodurch die unteren Bolzen des Befestigungsflansches ausreißen. Wir sichern die Anlage, und es gelingt uns, den Windpiloten neu zu justieren und mittels Holzkeilen und Unterwasserepoxy wieder zu fixieren. Regelmäßige Kontrollen zeigen, dass die Notarretierung hält, aber der Schock sitzt tief, weil der elektrische Pinnenpilot die verbleibende Strecke von ca. 2700 sm vermutlich nicht bewältigen würde.
Nachdem wir Email – Kontakt mit Herrn Peter Förthmann, dem Konstrukteur der Anlage, aufnehmen, zeigt sich dieser sehr interessiert an unserem System der Klemme bzw. der Steuerleinen für den Windpiloten. Tatsächlich fahren nur sehr wenige Katamarane mit Windsteueranlagen, und unsere Leinenkonstruktion ist das Ergebnis jahrelangen Experimentierens, um die optimale Lösung für alle Kurse und Windverhältnisse zu finden.

Weiter südlich „schläft der Wind ein“, und soweit wir über Funk feststellen können, gilt dies für die gesamte Strecke bis zu den Marquesas. Ausgedehnte Einsätze des Spinnakers (bis zu mehr als 80 Stunden nonstop) werden durch zaghaftes und dosiertes Motoren abgewechselt. Nach neun Tagen haben wir erst 1000 sm hinter uns gebracht und somit noch eine „Atlantiküberquerung“ vor uns – Abgeschiedenheit haben wir noch nie so deutlich empfunden. Wir beobachten die lange Dünung des Stillen Ozeans, der ruhig atmet und doch seine ungeheure Macht unverkennbar spüren lässt.
Nachts sehen wir das Kreuz des Südens verlässlich backbord querab und tagsüber die Sonne hoch im Norden – immer noch gewöhnungsbedürftig, obwohl sie bereits vor unserem Kanaltransit im Zenit stand.
Jeden Tag beobachten wir unzählige Schwärme fliegender Fische, die auch in der Flugphase ihre Formation beibehalten. Wir wissen nicht, wie viele verschiedene Arten fliegender Fische existieren, sie scheinen jedenfalls nicht vom Aussterben bedroht zu sein. Wenige Tage vor Landfall werden Fregattvögel auftauchen, die die Fische während ihrer Flugphase jagen – ein faszinierender, ungleicher Luftkampf zwischen Fisch und Vogel.

Ende der zweiten Woche ziehen immer häufiger Regenfronten aus Südost über uns, und die Intensität der meist damit verbundenen Squalls (Böen) ist schwer einzuschätzen. Durch solch eine Fehleinschätzung des Skippers reißt das Schothorn des Spinnakers oberhalb der Verstärkung samt eingesäumter Lieken glatt ab, und der Nachmittag ist ausgefüllt mit ausgedehnten Näh- und Klebearbeiten…

Ab dem nächsten Tag stellt sich mehr oder weniger konstanter – teilweise starker – Passatwind ein, und es baut sich eine sagenhafte Kreuzsee auf. Zwischen der zumindest fünf Meter hohen Hauptdünung aus Ostsüdost entstehen kleinere steile Wellen, und eine zusätzlich querlaufende Dünung aus Südost – teilweise aus Süd – erzeugt eine chaotische See, deren Wellen mit ungeheurer Wucht zwischen den Rümpfen gegen das Brückendeck des Kats schlagen.
Durch die außergewöhnliche Belastung des Schiffes werden nun jene Schäden offensichtlich, die wir bereits auf dem Weg zu den Galapagos Inseln durch die Kollision mit einem Baumstamm davongetragen, aber leider nicht erkannt haben. Am 30. Mai bricht abends der Boden des Bridgedecks an einer Kante auf. Mit jeder Welle erweitert sich der Riss, und mehr und mehr Wasser wird in die Mittelkabine gepresst. Es bleibt nicht viel Zeit geschockt und fasziniert zugleich auf unser Leck zu starren. Wir fallen ab, gehen platt vor den Wind, reduzieren die Segelfläche und versuchen mit Unterwasserepoxy und Glasmatten die Bruchstelle abzudichten. Dass die Arbeiten während der Dämmerung stattfinden, erhöht den Reiz der Situation…

Am folgenden Tag bemerken wir geringfügigen Wassereintritt an mehreren Stellen des Steuerbordrumpfes. Auf gleicher Höhe unseres Lecks in der Mittelkabine scheinen sich weitere Risse entlang der Innenseite des rechten Schwimmers zu befinden. Es stellt sich die bange Frage nach weiteren Schäden, in wie weit diese strukturell sind, und wie lange unsere Notreparatur dem noch zunehmenden Seegang standhält.

Wir befinden uns abseits der Schifffahrtsrouten in einem wenig befahrenen Teil des Pazifiks, ironischerweise fast am gleichen Längengrad 1000 sm nördlich der Osterinsel – einem der einsamsten bewohnten Plätze unseres Planeten, und unsere Kurzwellenanlage wird jetzt noch wichtiger als Verbindung zur Außenwelt. Die Reaktionen der anderen Schiffe geben uns mentale Stütze – jeder will helfen, die Frage ist nur wie:
Wolfgang ist mit seiner „Galateia“ 10 Längengrade vor uns, und Eva und Horst befinden sich mit der „Albatros“ etwa die gleiche Strecke hinter uns. Die britische Yacht „Mr. Percival“ wähnen wir in unserer Nähe, sie hat aber seit Tagen in keinem Funknetz eingecheckt, wodurch ihre Position für uns unbekannt ist. Mit den Australiern Keith und Colin, die mit ihrer „Georgia Wray“ nördlich der „Albatros“ schnell vorankommen, sind wir in Mailkontakt. Leider stellt der Wetterbericht keine Besserung in Aussicht, und Wolfgang beklagt den Seegang, dem wir nicht entgehen können, im Pacific Island Net. Net-Controller Günter bemüht sich um navigatorische Hilfestellung und stellt klar, dass „das hier nicht der Wörthersee ist…“.

Stündlich inspizieren wir unsere Risse, und Material zum Abdichten weiterer eventueller Schäden liegt jederzeit griffbereit. Die Sperrholzplatten des Brückendecks unmittelbar neben dem Hauptriss wölben sich mit jeder Welle, die gegen den Boden schlägt. Daher legen wir eine Matratze aus und liegen während der Nachtwachen am Bridgedeckboden, in der Hoffnung die Schläge ein bisschen abzufedern. Außerdem verwenden wir die ungebrauchten Segel als Dämpfer. Hinsichtlich unseres Kurses haben wir wenig Wahl, aber es zeigt sich, dass eine Geschwindigkeit von etwa 5 Knoten günstig ist, den Wellen möglichst viel Energie zu nehmen, daher fahren wir zwei Sturmsegel als Passatsegel (15 m2) und nehmen die Hauptdünung so achterlich wie möglich.

Einige Tage später entdeckt Wolfgang im vordersten Bugsegment des Steuerbordrumpfes ca. 40 Liter Wasser. Wir schöpfen aus und bemerken später ein kleines Loch im vordersten Beam. Ein beschädigter Querträger wäre eine ernsthafte strukturelle Bedrohung, das Problem erweist sich aber als vorübergehend lösbar, und nach Abdichtung läuft jedenfalls kein Wasser in den Bugbereich nach. Die Moral auf „Sleipnir2“ lässt sich an diesem Abend allerdings nicht mehr kitten – trotzdem feiern wir unseren 16. Jahrestag mit Topfentorte in etwas gedämpfter Stimmung.

Nachdem Keith und Colin von unserem weiteren Wassereinbruch erfahren, setzen sie mehr Segel und ändern ihren Kurs um zu uns aufzuschließen. Wir haben innerhalb von 24 Tagen nur ein Schiff gesehen, als am 6. Juni in der achterlichen Kimm (sichtbarer Horizont) die weiße Genua der „Georgia Wray“ endlich auftaucht – die „Sleipnir2“-Crew atmet auf und entspannt sich zusehends. Da wir unsere Schutzengel nach Landfall zumindest zu einem opulenten Dinner einladen wollen, bringen wir nach längerer Zeit wieder Köder aus. Das Führen der Schleppangeln ist auch ein Stimmungsbarometer auf „Sleipnir2“, und so haben wir in den letzten Tagen einen wohl wenig signifikanten Beitrag zur Erhaltung der Fischbestände des Südpazifiks geleistet…
Bereits nach einer halben Stunde können wir, bereits zum zweiten Mal auf dieser Fahrt, eine 110 cm Dorade an Bord ziehen. Wohl selten wurde ein Fischfang so bejubelt wie dieser seitens der „Georgia Wray“- Crew, die weniger als eine Kabellänge (ca. 185 Meter) parallel zu uns segelt und quasi erste Reihe fußfrei den Kampf um den Fisch mitverfolgt.

Am nächsten Morgen kommt Fatu Hiva in Sicht, und einige Stunden später ankern wir in der wirklich spektakulären Bay of Virgins – nicht umsonst ist die Bucht am Deckblatt eines der wichtigsten Revierführers Polynesiens abgebildet. Eine erste Inspektion des Kats zeigt leider gravierende, strukturelle Schäden am Steuerbordrumpf. Bevor die nächsten Tage mit weiteren Arbeiten zur mittelfristigen Stabilisierung von Rumpf und Brückendeck ausgefüllt sein werden, verbringen wir einen ausgelassenen Abend mit unseren Schutzengeln Keith und Colin – es gibt Dorade im Tomatenbett à la Eva Pöschl (YCA).