In den Marquesas

Den kulturellen Unterschied zu den Galapagos sehen wir zuerst in Form von herrlich duftendem Baguette, das man uns bereits am Ankerplatz anbietet. Die Bevölkerung spricht eine Mischung aus Polynesisch und Französisch und Evis romanistische Sprachkenntnisse werden für uns jetzt ein unschätzbarer Vorteil. Die Behördengänge verlaufen angenehm und schnell, und allzu oft muss Evi als Dolmetscher für andere Segler fungieren – am öftesten allerdings für Wolfgang, der sich in den nächsten Monaten offenbar mit einer Statistenrolle abfinden muss. Boote aus verschiedensten Nationen mit unterschiedlicher Größe und Bauart liegen in der ohnehin engen Bucht – was sie gemeinsam haben, ist der lange Weg, den man hierher zurücklegen muss.

Das Zusammenleben unter den Seglern ist intensiv, und jeder hat seine eigene Leidensstory auf dem Weg nach Fatu Hiva. Wie zu befürchten war, sind wir diesbezüglich die Spitzenreiter, obwohl die holländische „Free Spirit“ 43 (!) Tage von Acapulco hierher gebraucht hat.

Bevor wir uns an die unvermeidlichen, zumindest kurzfristigen, Reparaturarbeiten an „Sleipnir2“ machen, unternehmen wir mit anderen Yachties eine ausgedehnte Bergwanderung, die uns schließlich einen außergewöhnlichen Blick über die Ankerbucht beschert.
Am Weg durch das kleine Dorf Hanavave spüren wir noch einen Ansatz der unverdorbenen Freundlichkeit der Polynesier, wie sie von den Entdeckungsfahrern beschrieben wird. Jeder grüßt uns, viele sprechen uns an oder schenken uns einfach Früchte. Man will Kunsthandwerk gegen Gebrauchsartikel (Parfüm, Nagellack, Angelhaken, Fender…) tauschen, und wir werden sogar – gemeinsam mit anderen Seglern – zum Essen eingeladen. Selbst Wolfgang wird – für ihn völlig ungewohnt – von Kindern hemmungslos nach dem Woher und dem Wohin gefragt.
Außer einem kleinen Laden gibt es in dem Ort wirklich nichts, um so mehr sind wir über ein paar neuwertige Autos – allesamt japanische Fabrikate – erstaunt, die man bei einem asphaltierten Straßennetz von ca. 1 km getrost als Luxus bezeichnen kann.

Thor Heyerdahl hat sich in den dreißiger Jahren auf dieser Insel aussetzen lassen, um durch ein Robinsonleben seinen Weg zurück zur Natur zu finden. Wir lesen sein Buch „Fatu Hiva“ quasi am Schauplatz und können sehr bald seine Eindrücke ein wenig nachvollziehen: auf dem Weg zu einem Wasserfall, der anfangs durch eine üppige und grandiose Dschungellandschaft führt, verirren wir uns nahezu hoffnungslos und kommen knapp vor Dämmerung zurück in das Dorf – Seeleute auf Abwegen?

Die Ausbesserungsarbeiten zwischen den Rümpfen werden von Wolfgang – wie gewohnt – lautstark mit Kraftausdrücken kommentiert. Eine Fallböe, die eine mit Epoxy getränkte Glasmatte quer über sein Gesicht bläst, wird weniger als Zeichen verstanden – im Gegenteil die Tonart wird noch ein wenig derber, und an diesem Tag kommt kaum ein Dinghy zum gewohnten Plausch bei unserem Kat vorbei…
Zu allem Überfluss fallen in den nächsten Tagen Anker-/Navigationslicht und Deckslicht auf „Sleipnir2“ aus. Wolfgang ortet das Problem rasch an den Deckssteckern und sucht mehrere – eher unkonventionelle – Lösungen für die korrodierten Kabelverbindungen. Das Ergebnis ist günstig für den Stromverbrauch auf unserem Kat – wir fahren unbeleuchtet durch die nächsten Nächte…

Nur 45 sm nördlich liegt das Verwaltungszentrum der südlichen Marquesasgruppe, die Insel Hiva Oa. Die Formulierung „Zentrum“ ist für die Ansammlung von Häusern, die den Ort Atuona bilden, eine äußerst euphemistische Bezeichnung; jedenfalls ist der Treffpunkt aller Yachties das Postgebäude mit dem ersten Internetanschluss seit mehr als 3000sm. Die Übertragung des EM – Fußballspiels Österreich – Deutschland im Nebenraum gibt Evi die Möglichkeit 90 Minuten in aller Ruhe ihre Mails zu beantworten…
Einen Tag später besuchen wir das Gauguin- Museum und das Grab des Malers, der hier großes Ansehen genießt, obwohl er seine Modelle möglicherweise nicht nur gemalt hat…
In unmittelbarer Nähe finden wir auch das Grab des Chansoniers Jacques Brel.

Wir treffen einige „alte“ Freunde aus Panama und den Galapagos, und dank Evis Gastfreundschaft hängen immer wieder mehrere Dinghies an „Sleipnir2“s Klampen.
Chris hat seine „Zepherantes“ neun Jahre lang selbst gebaut (in diesem Zusammenhang eine Schiffszimmermannlehre absolviert) und ist außerdem Sachverständiger. Er besieht unsere Schäden, erstellt eine professionelle zehnseitige Expertise, und Wolfgang ist mit Arbeit eingedeckt…
Vor dem Wellenbrecher liegt der Schweizer Profiskipper Martin, der mit der mehr als 20 Meter langen, gaffelgetakelten Holzketsch „Styrr“ auf seiner zweiten Weltumsegelung unterwegs ist. Seine stets schwarzen Hände und Füße zeugen von langwierigen Auseinandersetzungen mit seinem Generator. Wie „unser“ Linehandler Wolfgang (von der „Galateia“) war auch Martin mit unseren österreichischen Segelfreunden, den Idemos, vor vier Jahren im Roten Meer gemeinsam Richtung Mittelmeer unterwegs – die Segelwelt ist klein.

Die Ankerbucht von Atuona, die Baie Tahuku, ist dicht belegt, und alle Boote haben auf Grund des Schwells einen Heckanker ausgebracht. Die verschiedenen Bug- und Heckanker sind meist trickreich „verwoben“, und so kommt kaum ein Boot ohne die Mithilfe anderer frei. Auch Wolfgang muss den eigenen Heckanker durch Abtauchen befreien – eine Übung, die durch die Haipopulation in Kampftauchermanier äußerst rasch erfolgt.

Eine Nachtfahrt weiter im Nordosten liegt die Insel Nuku Hiva mit dem wichtigsten Ankerplatz der Marquesas, der Bucht Taiohae.
Evi beginnt die stark bewachsenen Rümpfe zu reinigen und wird „einen Tag zu früh“ von Fischern gewarnt, dass manchmal Tigerhaie in die Bucht schwimmen. Die Bordfrau verlegt ihre Aktivitäten ins Innere des Schiffes, sodass zumindest ein Rumpf weiter unansehnlich verwahrlost bleibt.

Ein amerikanisches, junges Pärchen fällt uns auf, dass immer wieder einen sehr weiten Weg vom Schiff zum Dinghydock rudert. Auf Wolfgangs Frage, warum sie nicht näher zum Dock ankern, wenn sie keinen Beibootmotor besitzen, bekommt er eine beschämende Antwort: man hat überhaupt keinen Motor, und die Manöver unter Segel brauchen eben entsprechend Platz, wodurch sie grundsätzlich abgelegen liegen. Für den Panamakanal haben sie sich einen 15 PS Außenbordmotor geliehen…
Am nächsten Tag gehen sie Anker auf und kreuzen aus der Bucht mit Ziel Hawaii. Dort wollen sie arbeiten, um sich einen Motor für das Schiff anschaffen zu können.

In Nuku Hiva haben wir endlich Gelegenheit unseren Jahrestag gebührend nachzufeiern – das mondäne Hotel im Nordwesten der Bucht bietet den passenden Rahmen.
Bevor wir ablegen, erstehen natürlich auch wir die für die Inseln typischen Tikis und Tapas (Holzstatuen bzw. bemalte Rindenstücke), erst dann sind wir für die Weiterfahrt gerüstet.

Die 500 sm zu den Tuamotus stellen die erste Bewährungsprobe für unsere Reparatur- und Versteifungsarbeiten an Rumpf und Bridgedeck dar, und so sind wir froh, dass die unter britischer Flagge segelnde „Argonauta“ mit Wendy und Giorgio uns begleiten will. Wendy aus Kanada spricht grauenhaft Italienisch, und das Englisch von Giorgio ist schlicht unverständlich, trotzdem – oder gerade deshalb – segeln die beiden harmonisch um die Welt.

Die laut Logbuch 24 (!) Segelmanöver im Zuge der Überfahrt sprechen eine deutliche Sprache über die wechselhaften Wetterbedingungen dieses Schlages, aber am Morgen des fünften Tages weckt Evi ihren Wolfgang mit einem breiten Grinsen – Palmen am Horizont – wir stehen kurz vor dem Manihi Atoll im Nordwesten der Tuamotus…