Von den Malediven in den Oman

Die Ansteuerung des äußeren Ankerplatzes mit größeren Tiefen ist problemlos, um die seichten Liegeplätze zwischen den Riffen anzusteuern sollte man den passenden Sonnenstand abwarten. Wir haben Glück – Hans Jörg von der „Chenoa“ weiß um unsere Ankunft und lotst „Sleipnir2“ mit dem Dinghy durch die Untiefen auf eine sechs Meter tiefe Stelle mit gut haltendem Sandgrund.
„Sleipnir2“ schwebt wie schwerelos über den heckseitigen Korallenbänken, die im Licht des Vollmondes und im spiegelglatten Wasser zum Greifen nahe scheinen – kitschiger geht es nicht mehr, und die Bordfrau strahlt mit dem Mond um die Wette.

Eine Schule Mantas nähert sich am Morgen unserem Kat, und wir können die an der Oberfläche schwimmenden Rochen sehr genau beobachten, für ein garantiert großartiges Schnorchelerlebnis ist es uns noch zu früh am Tag.

Leider ist die Euphorie über unseren Aufenthalt im nördlichsten Atoll der Malediven nur von kurzer Dauer. Mehr und mehr Yachten scheinen von dem in Thailand organisierten, sogenannten „Superkonvoi“ mehr oder weniger offiziell abzuspringen und sich einem anderen – etwa drei Wochen früher auslaufenden – Konvoi anzuschließen. Wir sehen uns mit dem Risiko konfrontiert, relativ spät in der Saison in Salalah/Oman anzukommen und – mangels Teilnehmer – ohne professionell geführter Gruppe durch den Golf von Aden segeln zu müssen.
Nach einigen Mails mit Tom, dem Koordinator der ersten Rallye (ein pensioniertes Mitglied der Royal Air Force), wechseln auch wir die Seiten und kürzen somit unseren Maledivenaufenthalt erheblich ab. Ein Tagesausflug zu drei anderen Inseln und ein gemeinsames Dinner der vor Anker liegenden Yachten am Strand von Uligan sind eher entbehrliche Programmpunkte während unseres Kurzaufenthaltes.

So heißt es für uns „plus ultra“ (wie der gichtige Kaiser, in dessen Reich die Sonne nie unterging, zu sagen pflegte), und gemeinsam mit Hans Jörg, Tina und ihren beiden Söhnen Marvin und Noah von der schweizer Yacht „Chenoa“ nehmen wir die etwa 1.250 nm über das Arabische Meer in Angriff.
Mehrere Staaten raten offiziell von der Passage von den Malediven direkt in den Oman ab, nachdem sich die Mutterschiffe der Piraten, von denen mit Schnellbooten aus agiert wird, weit südöstlich in den Indischen Ozean verlagert haben – zumindest sollte man östlich von 060 Grad Ost bleiben bzw. 600 nm von der somalischen Küste Abstand halten.

In dem in Thailand von anderen Yachties gegründeten IO (Indian Ocean) – Net sind wir seit Dezember regelmäßig eingecheckt. Das SSB Netz betreut die Boote auf ihrem Weg durch den Indik bis ins Mittelmeer mit lokalen Informationen, Wetterberichten und Positionsmeldungen. Ab dem Arabischen Meer werden die Positionsmeldungen verschlüsselt über fiktiv gesetzte Wegpunkte, die nach Buchstaben des nautischen Alphabetes bezeichnet sind, durchgegeben und vom Net Controller in die tatsächliche Position umgerechnet. Jeweils drei Wegpunkte bilden eine Gruppe, die etwa für eine Woche Gültigkeit hat, anschließend wird auf eine andere Gruppe gewechselt. Distanz und Peilung zum jeweiligen Wegpunkt werden als Zahlenreihe durchgegeben, wobei zum Peilungswinkel 200 Grad als fixe Größe addiert werden:
„396 Sierra 255“ bedeutet 396 nm zum Wegpunkt Sierra mit einer Peilung von 55 Grad – das Schiff befindet sich allerdings tatsächlich 80 nm vor Salalah mit Zielkurs 295 Grad.
Manchen Seglern erscheint das System weit überzogen oder sogar lächerlich, und auch wir sind uns nicht ganz sicher, was wir davon halten sollen, tatsächlich werden in dieser Zeit von einigen Yachties irrwitzige und schwer nachvollziehbare Aktionen und Taktiken eingesetzt, um das Piratenrisiko in diesem Revier zu minimieren. Die Seglergemeinschaft macht sich mit Gerüchten, Meinungen und Einschätzungen verrückt, und wir bilden bestimmt keine Ausnahme…

Der Törn nach Salalah in den Oman erfordert viel Konsequenz und Arbeit an den Segeln, um „Chenoa“ und „Sleipnir2“ über diese lange Distanz stets in Sichtweite zu halten. Wir schaffen es aber und sind über zehn Tage nie mehr als 2 nm von einander entfernt. Nach Ausfall des automatischen Pinnenpiloten auf der „Chenoa“ wird ein Reserveautopilot von „Sleipnir2“ bei fünf Knoten Fahrt unter Segel mittels einer langen Trosse übergeben – insgesamt keine schlechte Leistung für zwei Boote aus Binnenländern.

Die letzten drei Tage sind die heikelsten, weil wir durch den Zielkurs bedingt näher an die somalische Küste segeln müssen, und die Anspannung an Bord beider Boote steigt unübersehbar. Schließlich kommen aber die Kräne des Kontainerhafens Salalah in Sicht, und wenig später erreichen wir die längst überfüllte Ankerzone der Yachten. Mehrere Dinghies kommen uns entgegen, um uns in die letzten verfügbaren Plätze einzuweisen, und bald zwängen wir „Sleipnir2“ mit Buganker zwischen zwei neuseeländische Boote und bringen überlange Festmacher zu den wenig einladenden Felsen aus.

Die Einklarierungsformalitäten im Oman müssen zwingend über einen Agenten abgewickelt werden – in Salalah übernimmt dies Mohammed, der in jeder Verfilmung einer Geschichte aus 1001 Nacht ungeschminkt mitspielen könnte. Er ist wirklich der einzige, der in seinem Chaos die Ruhe bewahrt – ein wenig zu viel Ruhe für übermüdete Segler nach mehr als 1200 nm durchs Arabische Meer. Er weiß um seine Unentbehrlichkeit – die Beamten sprechen kein Englisch, und die vielen verschiedenen Formulare in arabischer Schrift sehen alle gleich aus… Während des sich ewig hinziehenden Papierkrieges trinken Hans Jörg und Wolfgang wie Schuljungen heimliche die längst verdienten Biere – Wolfgang hat in weiser Voraussicht vorgesorgt…(im Oman gibt es offiziell keinen Alkohol)

Am nächsten Abend bekommen wir eine Lehrstunde hinsichtlich Hirarchie und Kräftemessen unterschiedlicher Institutionen im Hafenareal. Vermutlich aus reiner Willkür sieht ein Hafenpolizist „Sleipnir2“ und drei andere Boote zu nahe am Polizeipier und fordert uns wenig höflich zum Verholen des Schiffes auf. Wolfgang pilgert zwecks Klärung der Situation zum Port Captain, von dessen verglasten Bürowänden aus das gesamte Becken sehr gut zu übersehen ist. Der Mann ist freundlich und mit reichlich Goldstreifen dekoriert, jedoch offensichtlich arm an Kompetenz. Um Lässigkeit bemüht erklärt er Wolfgang, dass er ihm nicht vorschlagen möchte, wohin er sich mit dem Kat verlegen soll, sondern lediglich festlegt, wo er NICHT ankern darf. Der durch diese „Großzügigkeit“ verbleibende Raum würde kaum ausreichen, unser Dinghy zu parken, und so gehen wir letztlich längsseits an eine Dhau aus Bangladesch. Die Besatzung, die über Monate auf See lebt, wurde von Piraten entführt und vor kurzem freigelassen – im Hafen von Salalah dichten sie derzeit die Einschusslöcher an ihrem Boot ab… Am folgenden Tag müssen sowohl die Dhau als auch „Sleipnir2“ den Platz für ein britisches Kriegsschiff räumen – veranlasst durch wieder eine andere Behörde. Zumindest mit den Fischern aus Bangladesch schließen wir Freundschaft und spendieren ein paar Dosen Coca Cola, die ungemein geschätzt werden.

Mit der „Chenoa“-Crew mieten wir ein Auto – über Mohammed, wen sonst – und fahren nach Salalah, um uns zu verproviantieren. Während der Fahrt durch die Stadt bekommt der Begriff Streusiedlung eine völlig neue Bedeutung bzw. Dimension. Die scheinbar wahllos aus dem Wüstenboden gestampften, durchwegs modernen Bauten stehen über ein endloses Gelände verteilt, verbunden durch gut ausgebaute Straßen. Ein Stadtzentrum sucht man vergebens, aber dank terrestrischer navigatorischer Höchstleistung finden wir den Markt und ein pakistanisches Restaurant – wodurch wieder der Begriff „scharfe Speisen“ eine neue Dimension bekommt…
Am folgenden Tag unternehmen die Bordfrauen Tina und Evi mit dem Mietauto noch eine Erkundungstour in der näheren Umgebung, um einen besseren Eindruck vom arabischen Staat zu bekommen – die Dromedare vor den Kränen des Hafens geben in jedem Fall ein eigenwilliges Bild.
Über das Flair der verschleierten Frauen des Orients wollen wir in unserem Weblog aus dem Jemen noch berichten.

Um im Hafenwasser das Unterwasserschiff der Yachten für den bevorstehenden Konvoi zu reinigen, bedarf es einer amtlichen Genehmigung, die den ganzen Tag auf sich warten lässt. Eine Stunde vor der von „Major Tom“ angesetzten Vorbesprechung über den Ablauf des sogenannten MF (Mid-February) – Konvois bekommt jeder Skipper mit Stempel und Siegel versehen die Erlaubnis, eine halbe Stunde das Schiff zu reinigen – mehr Zeit wäre ohnehin nicht zur Verfügung gewesen.

Während des Briefings selbst wird der militärische Charakter des Unternehmens klar erkennbar, für die „Sleipnir2“-Crew kein Problem, da der Sicherheitsaspekt für uns absoluten Vorrang hat. Zur gleichen Zeit wickelt Mohammed die Ausklarierungsformalitäten für alle Yachten ab – man war auf einen langen Abend eingestellt, niemand wurde enttäuscht… Erst spät nach Mitternacht kommen wir in die Kojen, am nächsten Morgen wollen 27 Boote mit Seglern aus 17 Nationen die ca. 600 nm entlang der jemenitischen Küste nach Aden in Angriff nehmen – es wird für alle Beteiligten ein Erlebnis der besonderen Art.