Tobago

Die beiden genießen ihre wohlverdienten Tage in der Karibik, und wir freuen uns sehr, dass sie von „unserer“ Lieblingsinsel begeistert sind.

Nebenbei klarieren wir das Schiff, versorgen den über Wochen angesammelten Müll und lernen mit dem Beiboot trockenen Fußes über die Brandung zu kommen.

Nach der Abreise von Eva und Roland kommen wir am Weg vom Flughafen an Bago`s Beachbar vorbei (in Eva Pöschls heimatbezogenem Jargon: „der Wirt am Eck“). Die Kiwis Kelly und Glennys sitzen schon da, und innerhalb kürzester Zeit sind die Besatzungen aller vor Anker liegenden Schiffe an einem Tisch. Der Abend wird lang, und die Bierbestände der Bar werden ausgereizt. Wir waren für diesen Tag wehmütig auf Einsamkeit vorbereitet, können uns aber zum Glück schnell umstellen…

Das Wetter lässt keinen Zweifel offen, dass die Regenzeit hier bis in den Dezember reicht: Novemberwetter in der Badehose. Nicht nur wegen des Wetters hadert Wolfgang mit der Reise und seinen bescheidenen Lebensumständen an Bord. Evi erkennt bald die Situation und diagnostiziert Bewegungsmangel als Ursache der psychischen Labilität ihres Partners. Sie verordnet Strandläufe, Gymnastik, Schnorcheln und Tauchen, und tatsächlich bessert sich die Stimmung des „Sleipnir2“ – Skippers, was auch sehr zum Wohlbefinden Evis beiträgt.

Von den ersten Tagen an stürzen wir uns in das seglerische Gesellschaftsleben, welches wieder einmal durch eine Vielfalt an unterschiedlichen Persönlichkeiten, Lebensgeschichten, Zielvorstellungen und …Budgets geprägt ist. Dreieinhalb Wochen liegen wir in der Store Bay vor Anker, gerade einmal zwei Abende verbringen wir alleine am Schiff – öfters haben wir schon beim Frühstück Besuch.
Da ist z.B. Pia aus Deutschland, die Büroleiterin auf höchster politischer Ebene war, und die für die nächsten zwei Jahre auf verschiedenen Segelschiffen Richtung Pazifik trampt.
Anne und Mike aus Irland sind uns besonders sympathisch, und das hat nichts damit zu tun, dass ihr Kat Mojo – als einer der wenigen – kleiner ist als „Sleipnir2“. Anne ist ausgesprochen herzlich und Mike versucht seinem Irisch soviel Englisch beizumengen, dass auch Wolfgang seinem trockenen Humor folgen kann.
Die meiste Zeit verbringen wir aber mit unserem schweizer Freund Philip. Er hat seine Karriere in der Hochfinanz aufgegeben, um bewusst alleine mit seinem Katamaran Blue Bie um die Welt zu segeln www.bluebie.com – allerdings keineswegs auf dem kürzesten Weg. Manche seiner Routenpläne weichen deutlich von den üblichen Segelpfaden ab, einige seiner Wegpunkte sind – seiner Leidenschaft entsprechend – mit den besten Kitesurfplätzen verknüpft. Philips vielfältige Fähigkeiten zeigen sich unter anderem beim erfolgreichen Reparieren unserer Winsch oder beim Installieren unserer GPS-Maus. Vor einem gemeinsamen Rösti-Essen spielt er uns sogar am Backbordrumpf auf seinem Alphorn vor…

Wesentlich ungezwungener als wir sind jene jungen Brasilianer, die sich nach ihrer Ankunft in der Store Bay bei uns erkundigen, wie diese Bucht eigentlich heißt, und wie man hier Partys feiern kann. Wer immer in Tobago vor Anker geht, die meisten haben eines gemeinsam: sie haben mehr Zeit als wir…

Bedingt durch den schlechten Zustand der Riffe halten wir uns bei unseren Tauchaktivitäten zurück. Wolfgangs anfängliche Sorge ob unser „alter“ Tauchguru Göran noch am Leben ist, zeigt sich als wahrlich unbegründet. Er hat mittlerweile eine dreijährige Tochter und somit sogar Leben gezeugt…

Die diversen Weihnachtspartys an den Stränden oder in verschiedenen Bars zeigen allzu anschaulich die mitunter verheerende Wirkung von Alkohol. Bedingt durch das fortgeschrittene Alter einiger Akteure bleibt vermutlich zumindest deren Eltern eine peinliche Auseinandersetzung mit diversen Fotos und Filmsequenzen erspart. Die Fähigkeit „Loslassen“ zu können und als notwendigen Ausgleich zum regelmäßigen Arbeitsalltag ausgelassen zu feiern, sollte trotzdem nicht unter völliger Aufgabe von Selbstachtung und menschlicher Würde erfolgen. Wir verbringen den Heiligen Abend mit Philip bei gutem Essen und in dem Glauben es besser zu machen…

Nach Weihnachten verlassen die meisten Schiffe Tobago Richtung Chaguaramas – Trinidad, der vermutlich beste Platz der Karibik um am Schiff Arbeiten durchführen zu lassen. Am 29.12 laufen auch wir mit einer langen “To do“ – Liste Richtung Trinidad aus.

Trinidad bis Isla de Margarita

Nachdem wir uns von unseren lieb gewonnenen irischen Freunden verabschiedet haben – bei den Bordfrauen wird doch die eine oder andere Träne vergossen – nimmt „Sleipnir2“ Kurs auf die Inselgruppe Los Testigos („Die Zeugen“). Wir umsegeln die als gefährdet bezeichnete Halbinsel von Paria, fahren nachts ohne Positionslichter und weichen jedem Fischerboot – etwas paranoid – großräumig aus.

Westsetzender Strom schiebt uns mit 8 bis 9 Knoten Fahrt über Grund unserem Ziel viel zu schnell entgegen, um – wie geplant – bei Tagesanbruch anzukommen. Um Geschwindigkeit aus dem Boot zu nehmen, bergen wir um 4 Uhr früh die Segel, machen aber noch immer mehr als 4 Knoten auf dem GPS, wobei die Windfahne problemlos den Kurs hält (!).

Noch vor Sonnenaufgang fällt der Anker in der Balandra Bay. Zum Einklarieren fahren wir – obwohl mit neuem Beibootmotor ausgerüstet – eine Viertelstunde (!) in jene Ansammlung von Fischerhütten, die als Hauptort bezeichnet werden. 160 Leute wohnen in den Los Testigos – von genetischer Vielfalt kann man hier nur träumen. Es gibt keine Kneipe, kein Geschäft, keine Hotels oder Pensionen, nicht einmal eine Fährverbindung, allerdings eine Kapelle und – eine Schule. Abgesehen von ein paar Yachten, die auf ihrem Weg zur Isla de Margarita hier kurz Halt machen, gibt es keinen Tourismus.
Von einer Behörde kann man bei der Baracke, die mit der Nationalflagge „geschmückt“ ist, kaum sprechen, dennoch setzen wir an diesem – vermutlich strafversetzten – Außenposten des Landes unser freundlichstes Gesicht auf.
Wolfgang hat sich bei der Kleiderwahl für diesen Ausflug etwas vergriffen und kann schlichtweg als bunt beschrieben werden. Prompt wird er beim Landgang von einem Papagei „adoptiert“…

Am Nachmittag steigen wir auf die Dünen der Playa Gozman, begeistern uns an der Flugakrobatik der Fregattvögel und besuchen die Playa Tamarindo. Dieser Strand lässt sich mit jenen von Mauritius oder der Malediven vergleichen. Hinter den Palmen leben ein paar Fischer nach Maßstab unserer westlichen, „zivilisierten“ Vorstellung unter einfachen und armseligen Verhältnissen. Ohne Fließwasser, Toiletten und Müllentsorgung in Häusern ohne Fenstern sieht man hier ungeschminkt den Tribut, den die Einsamkeit eines Paradieses fordern kann und der vor uns so oft in diversen Ferienanlagen verschleiert wird. Die Leute sind sehr freundlich und posieren gerne vor Evis Kamera.

Ein angenehmer Tagesschlag bringt uns zwei Tage später ins Einkaufsmekka Porlamar auf der Isla de Margarita. Philip und Nila von der Blue Bie wissen von unserer Ankunft und haben schon ein Abendessen vorbereitet. Bei dieser Gelegenheit werden wir über die lokalen Gegebenheiten und die aktuellen Raten des Dollarkurses auf dem Schwarzmarkt informiert.

Wie geplant verproviantieren wir uns hier für die nächsten Monate, was innerhalb der „Sleipnir2“- Crew unweigerlich zu einer Diskussion über das Fassungsvermögen des Kats führt.
Der Preis einer Dose Bier im Supermarkt beläuft sich auf 11 Cents, in der Bar zahlt man für das beste Bier 40 Cents, für einen Caipirinha immerhin 90 Cents. Eine Stunde Internetzugang kostet 26 Cents (auf Menorca wollte man für die gleiche Zeitspanne € 20) und im Sunset Café gibt es ein saftiges Steak um € 4. Eine Stange Marlboro – Zigaretten, die wir als vielseitig einsetzbare Tauschware erstehen, bekommen wir für € 5,40. Die Maßnahme von Präsident Chavez, dass Grundnahrungsmittel zu Billigpreisen und ohne Gewinn angeboten werden müssen, führt dazu, dass diese Produkte über längere Zeit gar nicht oder nur am Schwarzmarkt verkauft werden. So sucht man Mehl, Milch, teilweise Eier, Zucker und Schlagobers vergeblich in den Regalen. Evi hat aber diesbezüglich bereits in Chaguaramas vorgesorgt, nachdem wir über die Engpässe von anderen Seglern informiert worden sind.

Das Tanken am Dock, welches eigentlich lokalen Fischerbooten vorbehalten ist, erfordert unsererseits ein wenig Akrobatik im Umgang mit dem Beiboot und wäre schon für sich einen Artikel wert. 95 Oktan Super kostet 1,4 Cents pro Liter, leider können wir nur mehr gut 100 Liter aufnehmen. Der Zapfhahn wird beim Einholen des Schlauches einfach durchs Wasser gezogen…

Leider oder Gott sei Dank laden die äußeren Umstände am Ankerplatz nicht zu einem längeren Aufenthalt ein und begrenzen so den Shoppingwahnsinn auf der zollfreien Insel. Zwei Tage vor unserer Ankunft wird ein Schiff überfallen. Der Skipper wacht auf, weil ihm einen Pistole an den Kopf gehalten wird. Das Polizeiboot kann nicht ausfahren, da angeblich das Geld für eine neue Starterbatterie fehlt, außerdem mangelt es an Personal für die eigentlich notwendigen Patrouillefahrten.
Österreicher Rudi, der mit seiner Stahlyacht schon länger vor Anker liegt, klärt uns auf, dass es hier hin und wieder zu Raubüberfällen kommen kann. Er selbst hatte bei solchen „Gelegenheiten“ seine Waffen schon in Verwendung.
Wir greifen in die Trickkiste um uns vor Übergriffen zu schützen. Wolfgang schläft diese Nächte trotzdem unruhig. Evi lässt sich ihren geheiligten Schlaf nicht nehmen – sie liegt in der Kabine aber auch auf der Innenseite…

In gewisser Weise als Ausgleich zu diesen unangenehmen Gegebenheiten ist Venezuela das Land der schönen Frauen. Darüber hinaus ist hier eine Brustvergrößerung offensichtlich so üblich wie in unseren Breiten das Tragen einer Zahnspange. Wer keinen Eingriff vornehmen lässt, trägt zumindest einen Push-up. Nachdem Wolfgang nur Augen für seine Bordfrau hat, wären ihm diese Tatsachen entgangen, hätte ihn nicht ein anderer Segler darauf aufmerksam gemacht…(erklärt das Fehlen jedweder Fotos)

Nach 4 Tagen in Porlamar nehmen wir vermutlich endgültig Abschied von Philip und seiner neuen Bordfrau Nila. Während sie sich zum Kitesurfen nach El Yaque verlegen, bereiten wir uns für die Weiterfahrt auf die Insel La Tortuga vor.

Isla de Margarita bis Islas de Aves

In Tortuga sind die Ankerfelder weiträumig. Eine Handvoll Yachten verteilen sich in riesigen Buchten mit türkisblauem Wasser vor endlos weißen Stränden. Im Mondlicht ist die Farbe des Wassers und der weiße Strand schlichtweg wie im Seehandbuch beschrieben: breathtaking.

Wir tauschen bei den Fischern Zigaretten und Rum gegen Langusten, unternehmen ausgedehnte Strandspaziergänge und leben ein bisschen so, wie es dem Klischee einer solchen Reise vielleicht entsprechen mag. Evi intensiviert ihre fotographischen Ambitionen und ist immer öfter auf der Suche nach neuen Motiven und Ausschnitten, Wolfgang absolviert regelmäßiger sein selbstauferlegtes Sportprogramm um fortschreitenden Atrophien Einhalt zu gebieten.

Der Passat weht für drei Tage mit voller Stärke und sorgt dafür, dass sich sogar die Entlastung der Ankerkette verbiegt. Mit Beruhigung der Windverhältnisse nehmen wir Kurs auf die Inselgruppe Los Roques. Wie schon vor La Tortuga empfiehlt sich ein Barrakuda für den Speiseplan auf „Sleipnir2“. Evi hat mit dem besonders agilen Fisch schwer zu kämpfen und bereitet ihn dann mit Rezept à la Seenomaden in Erdnussbutter zu.

Bei der Ankunft in den Los Roques werden wir freudig winkend empfangen. James und Amelia von der Rahula sind nicht – wie erwartet – bereits in Bonaire, sondern haben noch auf einen Abstecher in diese Inselgruppe umgeplant. Wir haben sie bereits in den Kap Verden kennengelernt und waren die meiste Zeit in E-Mail Kontakt. Als Mitglieder der Royal Navy, Amelia ist Elektronik-Ingenieur, James Navigator, führen sie den Union Jack auf blauer Flagge. Ihr Katamaran – ein Richard Woods Design – hat einen ähnlichen Riss wie „Sleipnir2“, und ihre geplante Route entspricht weitgehend der unseren…
Wolfgangs Schilderungen seiner Tauchausbildung bei frühlingshaften 4 Grad Wassertemperatur im Attersee können James nicht aus der Reserve locken: er hat seine Ausbildung auf den Falklandinseln absolviert.

Die Inselgruppe der Los Roques stellt einen Höhepunkt unserer bisherigen Reise dar. Auf der Hauptinsel befindet sich ein kleines Dorf mit äußerst geschmackvollen Häusern, Evi sieht uns ein bisschen euphemistisch „zurück in der Zivilisation“. Nachdem wir den Canossagang der vier (!) Behörden für den Check-in absolviert haben, folgen wir Rahula zu den größtenteils einsamen Ankerbuchten auf den umliegenden Inseln. Der Reichtum und die Vielfalt der Fischbestände, die wir im kristallklaren Wasser beobachten können, sind gewaltig. Abends jagen Pelikanen in unmittelbarer Nähe unseres Ankerplatzes, indem sie sich in Schwärmen -Kamikazepiloten gleich – ins Wasser stürzen, im Hintergrund fliegt eine Gruppe von Flamingos und vor unserem Anker taucht eine Schildkröte auf. Wir erleben die intensivste Schnorchelphase unserer bisherigen Reise; Wolfgang wird von James – ein wenig gewöhnungsbedürftig – als „man with gills“ bezeichnet, hat aber jetzt endgültig seine Krise überwunden…

Während Rahula nach Bonaire weiterfährt, erforschen wir noch einige Tage die Los Roques über und unter Wasser, bis wir zu den Islas de Aves aufbrechen. Auf der Fahrt zu den Aves de Barlovento werden wir von einigen Regenfronten überquert, die uns teilweise kräftigen Westwind (!) bescheren – wir wähnen uns eher im Mittelmeer als auf der Passatroute. Zu allem Überfluss gibt die Kurzwellenanlage den Geist auf…

Während der Ansteuerung in die Aves de Barlovento klettert Wolfgang auf die Saling, um Evi den Weg durch die Riffe und Untiefen zum Ankerplatz zu weisen. Wir liegen als einziges Schiff weit und breit, das Geschrei hunderter Pelikane, Fregattvögel, Tölpel und Reiher „belebt“ die dichten Mangrovenwälder, und eine aufziehende Regenfront gibt dem Platz etwas zusätzlich Mystisches. Man kann es durchaus auch riechen: diese Insel gehört offensichtlich den Vögeln, und wir fühlen uns als Eindringlinge – Hitchcock lässt grüßen…
Wir stellen uns die Wecker um mit dem ersten Tageslicht nach Bonaire weiterzusegeln, eine entbehrliche Maßnahme – die Tiere sind der beste Weckdienst.

Bonaire und Curaçao

An den Bojen vor dem Hauptort Kralendijk wartet bereits Rahula und versorgt uns mit ’local knowledge’. Zunächst besuchen wir den Karneval, der auf Grund offensichtlich mangelnder Kriterien bei der Auswahl der Akteure unsere Erwartungen nicht ganz erfüllt. Mit dem ersten Werktag widmen wir uns dann unserem Hauptanliegen: der Reparatur der Kurzwellenanlage. Es zeigt sich schnell, dass eine solche unrealistisch ist, und wir entscheiden uns für den Kauf eines neuen Gerätes.

Die Tauchmöglichkeiten in Bonaire sind außergewöhnlich gut. Die Yachten liegen an Moorings über dem Riff – direkt von Bord kann man traumhafte Tauchgänge unternehmen. Evis erster Checkdive gilt der Überprüfung unserer Boje. Beim Freitauchen „besucht“ Wolfgang die eine oder andere Tauchgruppe. Die Blicke der Taucher sind bei diesen „Treffen“ eher verstört als freundlich…
Leider kommen unsere Unterwasseraktivitäten zu kurz, weil das Problem mit der Kurzwellenanlage den größten Teil unserer Zeit und Energie in Anspruch nimmt.

Rahula mietet für einen Tag ein Auto, mit dem wir die Insel und vor allem den Washington Slagbaai Nationalpark erkunden. Für 39 US Dollar bekommen wir nicht nur einen fahrbaren Untersatz, sondern auch einiges an Spannung dazu. Der Nissan ist mit Rost überzogen, die Bodenplatten geben einen guten Blick auf die Fahrbahn, Fensterheber und Türschnallen vermisst man größtenteils, der Rest geht während der Fahrt verloren. Amelia meint, “we should give it a name“. James ist der Ansicht, “it – is more than enough“. Wir beobachten Eidechsen, Leguane und Flamingos und sind froh den Ausflug unternommen, aber auch überlebt zu haben…

Nach einer Woche segeln wir weiter nach Curaçao, Rahula bleibt noch vor Ort. Spaanse Haven im Süden der Insel ist eine weitläufige, sehr geschützte Ankerbucht – wenn man sie erst einmal erreicht hat. Die Einfahrt ist schmal und weist mehrere schwer lesbare Untiefen auf. In Ermangelung eines Hafenhandbuchs bzw. einer brauchbaren Seekarte setzen wir erstmals unsere elektronischen Seekarten mit GPS – Maus ein.

Die fehlenden Unterlagen über die örtlichen Gegebenheiten forcieren natürlich den Kontakt zu den anderen Ankerliegern. Nach einem Tag sind wir in die hiesige Seglergemeinschaft integriert. Unsere Ankunft wurde von einigen Booten offensichtlich mit Interesse verfolgt – was auch immer das zu bedeuten hat. Zwei Boote haben in ihren Büchern nachgeschlagen, welchem Land die Rot – Weiß – Rote Nationalflagge zuzuordnen ist. Während des traditionellen Seglertreffens in der Happy Hour der Sarifundy Marina versuchen wir uns jedenfalls als Botschafter unseres Landes, was Evi deutlich besser gelingt als Wolfgang.

Auch in Curaçao mieten wir ein Auto, besuchen eine äußerst beeindruckende Straußenfarm, eine sehenswerte Tropfsteinhöhle und ein eher entbehrliches Plantation House.
Rahula hat seit Bonaire Gäste an Bord: ein junges englisches Pärchen segelt hitchhikend auf wechselnden Schiffen um die Welt. Nachdem ihr gegenwärtiger Skipper in Bonaire einer Herzattacke (im Alter von 30 Jahren) erlegen ist, werden sie von Amelia und James für die Strecke nach Panama aufgenommen.

Die meisten Schiffe, die wir in der Karibik getroffen haben, wollen die östlichen Antillen bzw. die venezolanischen Inseln nicht verlassen. Jene Boote, die in Curaçao vor Anker liegen, haben größtenteils den Plan in den Pazifik weiterzusegeln – je weiter westlich wir kommen, umso mehr lichtet sich das Feld der Yachten, und die Seglergemeinschaft rückt näher zusammen.
Das vorherrschende Thema ist der bevorstehende Schlag nach Cartagena – Kolumbien. Diese Strecke gilt als eine der gefährlichsten im Rahmen einer klassischen Weltumsegelung. Um diese Jahreszeit sollte sie vermieden werden, da besonders schwere Wetterbedingungen zu erwarten sind. Nach Abwägung diverser Vor- und Nachteile entscheiden wir uns für die Variante entlang der Küste zu segeln.
Die Ankerlieger in Spaanse Haven warten auf ein günstiges Wetterfenster, das sich im Regelfall auch nur für kurze Dauer öffnet. Für die „Sleipnir2“- Crew wird das Warten auf die Icom Kurzwellenanlage zum zusätzlichen Wettlauf mit der Zeit.
Für das Wochenende werden günstige Bedingungen für Wind und Seegang prognostiziert – 25 Knoten ONO, 3,5 Meter Welle, Wellenfrequenz 4 Sekunden. Am Montagnachmittag bekommen wir die Meldung, dass unser Päckchen vom Zoll freigegeben wurde, eine Stunde später holt Wolfgang die Sendung mit dem Bus ab und knapp vor Sonnenuntergang schummeln wir uns durch die bei Ebbe besonders enge Ausfahrt von Spaanse Haven und nehmen Kurs Kolumbien.

Kolumbien

Erstmals fangen wir mit unserer Schleppangel einen Seevogel. Ein Tölpel macht seinem Namen leider alle Ehre und verfängt sich in unserem Köder.

In der zweiten Nacht haben wir eine Beinahekollision mit einem kolumbianischen Frachter. Wir weichen buchstäblich im allerletzten Moment aus. Der Adrenalinspiegel, der sich aufbaut während sich die schwarze Bordwand tangential an „Sleipnir2“ vorbeibewegt, baut sich nur sehr langsam ab.

Am folgenden Tag kürzen wir die langgezogene Bucht zwischen dem Cabo de la Vela und den Five Bays ab und segeln offshore. Der Wind nimmt auf 20 – 25 Knoten zu und bis Abend baut sich das Karibische Meer auf beachtliche Höhe auf. Das notwendige Reff kurz vor Dämmerung verzögert sich wegen des – durch 8 Knoten Fahrt erschwerten – Einholens eines offensichtlich kräftigen Thunfisches.
Der nächste Morgen beschert uns – laut Handbuch – sehr grobe See und ca. 35 Knoten Wind. Beeindruckende Wellenberge rollen auf „Sleipnir2“ zu, brechen aber – Gott sei Dank – jedes Mal unmittelbar vor unserem Heck. Überall ist weiße Gischt und das Grollen heranrollender Wellen lässt uns immer wieder zum Himmel blicken, weil wir ein Flugzeug über uns wähnen. Zweimal wickelt sich die Fock beim Segelwechsel um beide Vorstage – einmal klinken sich zwei Stagreiter in das freie Vorstag ein. Eine interessante physikalische Demonstration an welcher Stelle der Segeldruck am größten ist…
Wolfgangs Arbeit am Vorschiff wird laut und deutlich von einer immer breiteren Palette an Kraftausdrücken begleitet, Evi bleibt der ruhende Pol am Schiff.

Mittags erreichen wir das Delta des Rio Magdalena. Der Fluss färbt das Wasser ocker und braun, durch seine Strömung gelangt gefährliches Treibgut ins Meer und die Wellen werden steiler. „Sleipnirs“ Kurslinie liegt 4 sm außerhalb der Flussmündung, die Farbe des Wassers erinnert an den Neusiedlersee – wir fühlen uns fast wie zu Hause…

Am nächsten Morgen stehen wir vor der nördlichen Einfahrt von Cartagena – der Boca Grande – und eine Stunde später ankern wir unweit von Rahula nördlich vom Club Nautico. Im Segelklub herrscht eine bemerkenswert freundliche und hilfsbereite Atmosphäre, Cartagena selbst scheint uns sicher zu sein und ist einer der schönsten Städte, die wir auf dieser Reise besucht haben. Die Altstadt mit liebevoll restaurierten kolonialen Bauten, stilvollen Bars und einer Vielzahl von Museen trieft vor südamerikanischem Flair und lädt zum längeren Verweilen ein.

Im Club Nautico ist der Schlag von Curaçao hierher das vorherrschende Thema unter den Seglern. Alle stehen noch unter dem Eindruck der rauen See und der hohen Windgeschwindigkeiten. Gerne wird von den “top five passages of the world“ gesprochen – uns scheint das ein wenig übertrieben, für die klassische Route einer Weltumsegelung mag das aber zutreffen.

Wir dürften Glück gehabt haben – kaum jemand hatte unter 45 Knoten Wind, und James spricht von den gröbsten Bedingungen, in die er je geraten ist – und er ist immerhin Offizier der Royal Navy.

Sven, ein hier ansässiger Deutscher, steht in dem Ruf bei der Instandsetzung von elektronischen Geräten kleine Wunder vollbringen zu können. Tatsächlich gelingt die Reparatur unseres alten Icom – Transceivers, und „Sleipnir2“ wird Cartagena als eines von wenigen Schiffen verlassen, das mit zwei (!) Kurzwellengeräten ausgerüstet ist.

So schön die Stadt sein mag, überzieht sie den Kat mit einer Staubschicht, sodass das neue weiße Gelcoat nur mehr zu erahnen ist. Das Hafenwasser fördert den Bewuchs am Schiff wie wir es bislang noch nie erlebt haben. Auf eine Reinigung des Unterwasserschiffs muss verzichtet werden, will man einen Hautausschlag vermeiden.

Zunächst müssen wir aber unsere – für Donnerstagabend geplante – Abfahrt verschieben. Der Wetterbericht beschert uns ein paar weitere Tage in der malerischen Stadt – es gibt schlechtere Plätze um auf besseres Wetter zu warten…
Also erkunden wir Cartagena mit öffentlichen Bussen. Der offensichtliche „Okkultismus“ mancher Fahrer gibt der Frontpartie der Busse das Aussehen einer Kapelle, und spätestens nach der ersten Fahrt wird die Notwendigkeit der Anrufung verschiedenster Heiliger klar. Fürs Ticket um 1000 Pesos bekommt man den Gegenwert von etwa einem ganzen Tag Autodromfahren im Prater.
Es gelingt uns durch jahrzehntelange Großstadterfahrung die Besichtigung des modernen Stadtteils Boca Grande unbeschadet zu überstehen. Hier finden wir eine heimische Weltmarke – auch in Kolumbien kann man österreichisches Kristall kaufen… Schließlich besichtigen wir die imposante Verteidigungsanlage Castillo San Felipe, die einen guten Überblick über die unterschiedlichen Stadtteile gibt.

Unser Aufenthalt fällt mit dem 48. Fernsehfilmfestival zusammen – unübersehbar auch für Uninteressierte. Auch ohne Besuch der in diesem Zusammenhang angebotenen Veranstaltungen ist das gesellschaftliche Leben der Seglergemeinschaft ausgesprochen kurzweilig.
Ein feuchtfröhlicher Sundowner auf „Sleipnir2“ wird von der Meldung unterbrochen, dass auf Rahula der Anker nicht gehalten hat und der Kat mehrere 100 Meter „auf Drift“ gegangen ist. Der Bedarf an Bieren nach Bereinigung der Situation fordert die Gastgeber… Jeden Sonntag findet im Club ein Barbecueabend statt – schließlich dominieren hier die Nordamerikaner die Segelszene. Ein Thema des Abends ist das für den nächsten Tag geplante Auslaufen von Rahula und „Sleipnir2“. Man warnt uns vor hohem Seegang, aber mit einer „Kaffeefahrt“ kann hier bis April nicht gerechnet werden, und wir wollen zu einem unserer Traumziele: den San Blas Inseln.